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Das verplante Paradies

Das verplante Paradies

Titel: Das verplante Paradies
Autoren: Peter Tate
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‚Gogan Memorial’ oder so.“
    „Ja genau. Er wollte sterben.“
    „Niemand will sterben“, sagte der Soldat. Simeon lächelte müde, sagte aber nichts.
    Plötzlich mußte er an Latimer denken. Der Student saß allein auf der Hafenmauer, die kaum noch aus dem Sand hervorragte, den der Sturm darüber weggefegt hatte. Simeon watete durch den Sand und stellte sich in Latimers Blickwinkel. Der fröstelte. „Seine karierten Tischdecken hat er jetzt doch nicht bekommen“, sagte er.
    „Und Sie haben niemals beweiskräftiges Material von ihm gekriegt. Machen Sie sich doch keine Sorgen um die Bezahlung, wenn Sie keine Leistung erhalten haben.“
    „Sie glauben also, daß er alles tat, um mir Hindernisse in den Weg zu legen?“
    „Ich glaube gar nichts. Es war eine alte Rechnung.“
    „Aber Sie müssen doch etwas für ihn übrig gehabt haben?“
    „Natürlich hatte ich etwas für ihn übrig. Ich liebte ihn, weil er ein Mensch war. Was mich traurig macht, ist weniger sein plötzlicher Tod als vielmehr die Tatsa che, daß ich ihn jetzt nicht länger erreichen kann, denn –“ Simeon fühlte einen Knoten in der Kehle und schluck te. Er gab seinem Satz eine neue Richtung. „Weil ich ihn kenne, habe ich keine Angst um ihn. Es steckt viel Gutes in ihm. Machen Sie sich keine Sorgen.“
    „Ich glaube, aus Ihnen werde ich nie etwas herauskriegen.“
    „Es dauert immer ziemlich lange“, sagte Simeon. Mit einem Ruck stand er auf. Latimer hielt ihn am Handgelenk fest.
    „Was soll ich tun, wenn ich noch nicht bereit bin?“
    „Das was die anderen tun. Kommen Sie.“ Simeon rutschte über den losen Sand zur Straße hinunter.
    „Ich glaube, es ist Zeit, daß wir weiterziehen“, sagte er laut, so daß es alle hören konnten. „Julie und ich jedenfalls. Die anderen sollen kommen, wenn sie wissen, warum. Tut es nicht nur um meinetwillen. Laßt euch Zeit. Sechs Monate vielleicht. Ich weiß nicht, wo wir dann sein werden – wahrscheinlich da, wo wir am meisten gebraucht werden. Wenn ihr einen Hinweis braucht, dann lest eure Zeitung.“
    Er ließ Julie zu sich kommen. Sie schob sich unter seine Achsel. „O. K.?“
    „O. K.“, sagte sie. „Du und ich und die Kinder.“
    Einen Augenblick lang suchte Simeon eine Richtung. Dann gingen er und Julie in derselben Richtung davon, aus der sie damals im Juni gekommen waren: auf dem Autoshelf in Richtung Norden. Die anderen sahen sie gehen, aber ihre Beine waren wie gelähmt. Sie rührten sich nicht von der Stelle. Einer nur spürte ein nicht erfülltes Versprechen und folgte Simeon.
    Nach zwanzig Metern hatte Brian McKenzie sie eingeholt und legte Simeon die Hand auf die Schulter.
    „Ich weiß“, sagte Simeon. „Ich zeige es Ihnen.“
    Sachte küßte er Julie. „Es dauert nur eine Minute.“
    Dann sprang er über die Mauer und lief im Schritt hinunter zum Wasser.
    McKenzie stolperte hinter ihm her. Der kalte Wind der Oktobernacht preßte den beiden Männern die Kleider an den Leib.
    Simeon kniete sich in den nassen Sand und schöpfte Wasser in den Händen.
    „Vor allem kosten Sie!“ sagte er.
    McKenzie kostete.
    „Nicht zu viel. Ist es nicht wie Kristall?“
    McKenzie lachte. „Genau so.“
    Zusammen liefen sie zurück über den Strand. Hinter ihnen kam die erste Flut.

Epilog
     
    Weitere gebleichte Gräten und Knochen am Strand. Wenn das Meer seine Toten aufgibt, dann geschieht es ohne Zeremoniell. Manchmal sieht man es, manchmal nicht.
    Am ganzen Strand von Playa 9 gibt es heute einen Gürtel von Strandgut, der den höchsten Wasserstand markiert. Der schmutzige Streifen wirkt wie die natürliche Ergänzung der salzverkrusteten, vergessenen kleinen Stadt dahinter.
    Charlie Haldane – ein verkrusteter, verwitterter Charlie Haldane – wandert zwischen den gebleichten Stümpfen geheimnisvoller Bäume umher. Nur um eine Bewegung an der verlassenen Küste zu sehen, kickt er eine Blechbüchse über den Strand.
    Es ist ein Tag mit Windstärke Eins. Der Wind verweht den Rauch, vermag aber keine Wetterfahne zu drehen. Wenn es überhaupt Wetterfahnen gibt in Playa 9. Der Rauch stammt von einem Feuer, in dem die Abrißarbeiter die Geschichte des Ortes verbrennen. Der Wind ergreift also die Geschichte und läßt sie meilenweit entfernt auf irgend jemandes saubere Bettlaken fallen. Und damit wäre die Geschichte erledigt.
    Das Meer hat Wellen auf seinem Rücken, die wie Schuppen auf dem Rücken eines Ungeheuers aussehen. Aber das Ungeheuer schläft. Nur gelegentlich schlägt die
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