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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch
Autoren: Wilfried Bommert
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VORWEG
    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ereignet sich klammheimlich ein Paradigmenwechsel in der Weltlandwirtschaft. Das Bauerntum geht unter und an seine Stelle tritt die Herrschaft anonymer Kräfte. Die Kapital- und Energiemärkte bemächtigen sich des Bodens, der Grundlage der Welternährung. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass fremde Mächte nach dem Boden anderer Völker greifen. Früher waren es Staaten oder einzelne Kolonialgesellschaften, die Kriege um Land führten und sich im kolonialen Rausch ganze Kontinente und deren Kornkammern einverleibten. Heute ist es das globale Finanzkapital. Nach dem Crash der Finanzmärkte 2008 ist Boden eine der letzten Bastionen, um Werte und Renditen zu sichern – mit unabsehbaren Folgen für die Welternährung. Die Kapitalrendite entscheidet in Zukunft darüber, was auf den Äckern der Welt angebaut wird. Und die Spekulation an den Nahrungsmittelbörsen bestimmt, wie hoch die Preise für das tägliche Brot der Welt getrieben werden.
    Seit 2007 kennt der Food Price Index der Welternährungsorganisation FAO nur noch eine Richtung, und die weist aufwärts. Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung wieder umkehren könnte. Im Gegenteil, seit die Industriestaaten mit Milliarden den Anbau von Biotreibstoff subventionieren, verschärft sich die Lage zusehends. Das Ende des Erdöls schürt die Gier. Damit sind die Weichen auf den Äckern der Welt neu gestellt. Die Märkte verlangen Industrieplantagen, die das schwindende Öl durch Biosprit und Biorohstoffe ersetzen. Die Welternährung verkümmert damit zu einer Restgröße, die nur dann bedient wird, wenn der Durst nach Treibstoff und der Hunger nach Rohstoffen der Industrie- und Schwellenländer gestillt sind. Dies jedoch dann zu Preisen, die für eine wachsende Mehrheit der Weltbevölkerung unerschwinglich sein werden.
    Das Jahr 2011 beschert der Welt das zweite Allzeithoch für Lebensmittelpreise in nur drei Jahren. Die Hungeraufstände, die seit 2007 mehr als 25 Länder erschüttert haben, breiten sich aus. Auch wenn der Ruf nach Brot in Tunesien, Ägypten und Libyen nicht an vorderster Front zu hören war, so bildete er doch das Hintergrundgrollen für den Umsturz der Diktaturen. Wo die Menschen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für ihr tägliches Brot ausgeben müssen, birgt jede weitere Preiserhöhung den Keim eines neuen Aufstands in sich. Der richtet sich zunächst zwar nur gegen die nationalen Regierungen, aber im Kern gegen eine Weltwirtschaftsordnung, die die Grundbedürfnisse der Menschheit aus dem Auge verloren hat.
    Wenn den Kapitalinteressen, die seit 2007 den Boden und die Weltlandwirtschaft entdeckt haben, keine Zügel angelegt werden, dann droht auch hier, wie an den Kapitalmärkten, der Zusammenbruch, der Kollaps der Welternährung. Das verbindet die Hungeraufstände mit den Demonstranten, die sich 2011 zum ersten Mal unter dem Banner »Occupy Wallstreet« sammelten. Auch sie haben das Vertrauen in die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte verloren. Der Ruf nach einem Kurswechsel, nach einem Neuanfang wird lauter.
    Der Zugriff des Finanzkapitals auf die Äcker der Welt muss abgewehrt werden. Nicht nur, weil er die Welternährung untergräbt, sondern auch, weil er das Weltklima weiter aufheizt und die Stabilität ganzer Weltregionen infrage stellt. Der Raubbau an Boden, Wasser, Artenvielfalt und Klima muss ein Ende finden. Diese Kehrtwende in der bisherigen Agrar- und Ernährungspolitik ist möglich, und es gibt bereits ein Heer von Vorreitern, die zeigen, welche Wege aus dem globalen Dilemma führen.
    Doch diese gute Nachricht findet im Chaos der Weltwirtschaftskrise kein Gehör. Die Kraft der politischen Klasse wird von der Finanzkrise voll absorbiert. Die Lobby der Agrar- und Ernährungsindustrie versucht, ihr globales Modell und ihre Profite zu verteidigen. Staatskanzleien spielen auf Zeit. Sie fürchten vor allem eines, den Machtverlust. Doch der GAU, der größte anzunehmende Unfall, der Welternährung rückt näher. Er birgt nicht nur das Ende einer Epoche in sich, wie die Kernschmelze von Fukushima, die das Ende des nuklearen Zeitalters einläutete, sondern auch die Chance auf einen Neuanfang. Der wird, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, bereits vorbereitet, nicht in der Politik, sondern in der Zivilgesellschaft rund um den Globus.
    Wie wir den Boden wieder zur Grundlage der Welternährung machen können, das ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts und ein
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