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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch
Autoren: Wilfried Bommert
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die Biospritpläne 3,7 Milliarden und als Flächenprämie insgesamt 40 Milliarden Euro. Das entspricht mehr als 300 Euro pro Hektar. Und dies jedes Jahr aufs Neue – bisher allerdings für eine Bodennutzung, die den Böden schadet, das Klima belastet, die Wasserreserven verschmutzt, die Artenvielfalt beschränkt, den Tierschutz ignoriert und in Übersee Futterflächen beansprucht, die auf Kosten von Nahrungsflächen und Urwäldern ausgedehnt werden und den Boden in Europa und darüber hinaus für die Kapitalmärkte erst richtig interessant macht.
    Tatsache ist – in der politischen Landschaft regt sich bisher keinerlei Handlungswille. Dem steht der Mangel an Zeit gegenüber, um die Welt aus der Gefahrenzone wachsender Bodenkonflikte herauszumanövrieren. Es könnte eng werden.
    DIE STUNDE DER ZIVILGESELLSCHAFT
    Aber die Lage ist nicht hoffnungslos, wenn die Zivilgesellschaft das übernimmt, was die Politik nicht leisten will oder kann. Es hängt von uns ab, von nicht zuletzt 80 Millionen deutschen Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihren kleinen, aber nachhaltigen Kaufentscheidungen den Bodenspekulanten den Wind aus den Segeln nehmen können.
    Es beginnt mit der Frage, was und wie viel wir einkaufen. Wenn mehr 30 Prozent der Nahrungsmittel in Haushalten verkommt und weggeworfen wird, dann ist dies ein gewaltiger Hebel. Wer sein täglich Brot mit gutem Gewissen und ohne die stille Teilnahme am Bodenrausch essen will, kauft nur das, was er oder sie auch verzehren kann. Und um die Verstrickung in den Bodenrausch zu umgehen, kann man sich an Labels orientieren, die auch in Bodenfragen eine saubere Weste garantieren: die Kennzeichen der Bioverbände, die Siegel von Slow Food und Fairtrade. In Biofleisch, -eiern oder -milch verbergen sich in der Regel keine Futtermittel aus den Regionen des großen Landraubs.
    Wer aktiv in die Kette des Fleischkonsums eingreifen will, kann sich Initiativen anschließen, die versuchen, den Fleischwahn zumindest an einem Tag der Woche durch eine neue Gemüseseligkeit zu verdrängen. Der »Veggiedag«, wie er im belgischen Gent an jedem Donnerstag begangen wird, findet auch in Deutschland seine Anhänger. Seit Januar 2010 verfolgt die Stadt Bremen die Idee und seit Juli 2011 ruft in Köln die »VeggieDonnerstag«-Initiative zur Veränderung des städtischen Speiseplans auf.
    Bei der Mobilität wird es schon schwieriger. Vom Fahrrad abgesehen, gibt es hier keine Sicherheit. Denn Biosprit ist leider fast in jedem Kraftstoff mittlerweile Zwangspartner. Selbst die Lufthansa versucht, mit Agrokerosin die Treibhausbilanz ihrer Flotte aufzupolieren. Auch die Elektromobilität hilft nicht aus der Risikozone, denn im Strommix taucht meist irgendwo doch Biostrom aus Biogasanlagen auf, die den Bodenrausch bei uns in Gang halten, oder aus Solaranlagen auf Äckern, auf denen auch Lebensmittel wachsen könnten. Was bleibt, ist die selbstkritische Frage, wie viel Mobilität wir wirklich brauchen.
    Schließlich geht es ums Geld. Wer nicht über seine Geldanlagen in die Spekulation auf den Lebensmittel- und Bodenmärkten hineingezogen werden will, muss gegenüber Fonds oder Versicherungen, die sich auf dem Gebiet der Agrarrohstoffe engagieren, auf Distanz gehen. Allerdings ist es auch hier nicht einfach herauszufinden, wer wie viel Dreck am Stecken hat. Exakte und alle Bereiche der Finanzwirtschaft umfassende Analysen oder gar Zertifikate gibt es bisher kaum. Aber es gibt Ansätze: etwa Banken, die mit den ihnen anvertrauten Millionen Unternehmen und Projekte finanzieren, die ökologisch, ökonomisch und sozial »sauber« sind. Wer seine Hausbank nicht wechseln will, nimmt beim nächsten Besuch seinen Bankberater zur Seite und lässt sich bescheinigen, dass mit seinem Geld weder mit Lebensmitteln noch mit Land, noch mit der Zukunft von Kleinbauern und ihren Familien spekuliert wird – und zwar schriftlich.
    Die Bremskraft gegenüber dem Bodenrausch wächst mit der Zahl derer, die sich am Bremsmanöver beteiligen, und mit ihrem Einfluss auf die lokale Politik. Die Food Policy Councils in den USA machen es vor: Diese Bürgervereine veranstalten Tauschbörsen für Selbstgezogenes, Bauernmärkte, Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften, die jenseits industrieller Normen alles vermarkten, was auf der Farm wächst. Die Councils verstehen sich als Motoren für eine klimaverträgliche und regionale Versorgung mit Nahrungsmitteln, abseits der großen Wegwerfströme. Sie befördern einen lokalen Wandel, der
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