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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch
Autoren: Wilfried Bommert
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der deutschen Wissenschaftsgemeinde. Der Rat der Sachverständigen für globale Umweltveränderungen forderte bereits 1994, dass vor allen anderen Interessen die Welternährung stehen müsse, und zwar in der Verantwortung der Vereinten Nationen. Alles, was auf nationaler Ebene geregelt und beschlossen werde, so die Wissenschaftler, erweise sich als zu schwach, um die Märkte in den Griff zu bekommen. 15
    Die Botschaft verhallte 1994 in der politischen Arena der Bundesrepublik. Und obwohl sie bis heute an Dringlichkeit nichts verloren hat, wird sie weiterhin ignoriert. Mehr noch, die Regierenden stellen sich unverändert gegen verbindliche Regeln, die den Raubtierkapitalismus zügeln könnten.
    In der Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Mai 2009 rief der Vizepräsident Wolfgang Thierse den Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Marieluise Beck, Volker Beck und weiterer Abgeordneter sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf: »Landrechte stärken – ›land grabbing‹ in Entwicklungsländern verhindern« (Drucksachen 16/12735, 16/13023).
    Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen und der Linken bei Stimmenthaltung der FDP abgelehnt. 16

Das Ende der Jagd. Zurück auf sicheren Boden
    Der Zugriff der Kapitalmärkte auf die Agrarbörsen und die Äcker der Welt steht erst am Anfang. Wie viele Hektar auf dem Papier tatsächlich schon über die Tische der Notare gegangen sind, versucht Markus Giger von der Universität Bern ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Er hat eine Plattform gegründet, die die aktuellen Landbewegungen weltweit registriert und ihren Umfang abschätzt. Bis zum Frühjahr 2011 erhielt er 1233 Meldungen über größere Landgeschäfte und kam auf ein Volumen von 80 Millionen Hektar weltweit. Davon 51 Millionen in Afrika, 19 Millionen in Asien, 9 Millionen in Lateinamerika und 1 Million vor allem in Osteuropa. 1
    Ob dies die Spitze des Eisbergs ist oder eine Übertreibung, muss er offen lassen. Es gibt Vermutungen über weit größere Transaktionen. Die Hilfsorganisation Oxfam legte im September 2011 eine Studie vor, nach der seit 2001 bereits 227 Millionen Hektar Land den Besitzer gewechselt haben, eine Fläche so groß wie Westeuropa. 2 Andere gehen davon aus, dass die Geschäfte bis zu 40 Prozent der Weltackerfläche betreffen könnten. Aber Gewissheiten gibt es nicht. Nur in wenigen Fällen ist es Markus Giger gelungen, Ross und Reiter der Bodengeschäfte zu ermitteln.
    Getragen wird der Bodenrausch durch eine kolonialistische Mentalität in den Industrienationen, die auch weiterbesteht, nachdem die letzten Kolonien ihre Unabhängigkeit erklärt haben. So werden Investitionen in das Land anderer Staaten nach wie vor gerechtfertigt mit der Überlegenheit des kapitalistischen Modells und der industriellen Methoden gegenüber den Kleinbauern des Südens und ihrer Wirtschaftsweise. Mit dem »Kampf gegen den Hunger« begründen sie ihre Übergriffe gegen die ländliche Bevölkerung. In Wirklichkeit geht es um Gewinn und Rendite, um Sprit für die Mobilität der Industrie- und Schwellenländer, um Mastfutter für ihre Fleischfabriken, um Nachschubsicherung für die Ernährungsindustrie der geldreichen, aber landarmen Nationen. Auch Land, auf dem Pflanzen Klimagase einsammeln und damit börsentaugliche Klimagutschriften ermöglichen, oder einfach nur Boden als Spekulationsobjekt nähren den Boom. Moralische Schranken sind da nur lästig, wie der anhaltende Widerstand gegen verbindliche Standards für diese Geschäfte verrät.
    Ein Ende der Jagd auf Land zeichnet sich derzeit nicht ab, im Gegenteil. Alles deutet darauf hin, dass sich die Konkurrenz weiter verschärft. Denn Boden wird in Zukunft ein noch knapperes Gut werden.
    Zum einen tragen falsche Bewirtschaftung und falsche Bewässerung dazu bei, dass immer mehr Ackerland seine Fruchtbarkeit verliert. Zum anderen verschwinden fortwährend Flächen unter dem Beton wachsender Städte und Verkehrsstraßen, besonders in Asien und Afrika. Schließlich versiegen in weiten Regionen der Welt die Pumpen, die das Grundwasser an die Oberfläche fördern. Die globalen Grundwasservorräte weisen nur noch 50 Prozent ihres Bestandes auf, in vielen Teilen der Welt liegen sie schon weit darunter, das betrifft vor allem China und Indien. Das nutzbare Wasser in Flüssen und Seen geht stetig zurück, weil Bewässerung und Industrie zu viel davon verbrauchen. Die Kombination von Wasser und fruchtbarem Boden
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