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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch
Autoren: Wilfried Bommert
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Jean-Jacques Rousseau, der im 18. Jahrhundert schrieb: »Die Früchte gehören euch allen, aber der Boden gehört niemandem.«
    Auch im 20. Jahrhundert ist in den Kreisen der Kirche keine Ruhe eingekehrt. In ihrer Denkschrift »Gemeinwohl und Eigennutz« spricht sich die Evangelische Kirche Deutschlands 1991 für eine sorgfältige Prüfung der Frage aus, »in welchen Fällen eher Privateigentum und in welchen eher Gemeineigentum dem Wohl des Ganzen dient«, und erklärt, »dass die Erde als natürlicher Lebensraum der Menschen nicht beliebig verfügbares Eigentum der Menschheit« sei.« Klarer formuliert es der Ökumenische Rat der Kirchen 1990 in Korea: »Wir werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt, die Spekulationen auf Kosten der Armen erlaubt […] Wir verpflichten uns zur Solidarität mit Landarbeitern und armen Bauern, die sich für eine Bodenreform einsetzen.« 10 Auch der Reformierte Weltbund, dem über 75 Millionen Christinnen und Christen aus über 100 Ländern angehören, warnte zum Abschluss seiner 24. Generalversammlung in Accra 2004 davor, dass die »Gaben Gottes, die für alle bestimmt sind, zum Privateigentum erklärt werden«.
    Die Idee vom privaten Bodeneigentum ist im Rückblick nicht fest im abendländischen Denken verankert und bildet auch global gesehen eher die Ausnahme als die Regel. Weder in Afrika noch in Asien noch in Südamerika zählt das Eigentum am Boden zum historischen Bestand. Das Gegenteil ist der Fall. Boden gehört und gehörte jenseits der Industriestaaten fast überall zu den allgemeinen Gütern. Er kann persönlich bewirtschaftet werden, aber die Verfügungsgewalt hat die Gemeinschaft oder die Gesellschaft.
    In Lateinamerika wurde das alte Recht auf Gemeineigentum zwar durch den Kolonialismus ausgehebelt und unterdrückt, aber in den Köpfen der Einheimischen lebt es weiter, und der Kampf darum setzt sich fort. Seit die indigene Bevölkerung in den meisten Ländern wieder eine Stimme hat und auch vom internationalen Recht Rückendeckung bekommt – insbesondere durch die ILO-Konvention 169, die seit 1991 die Rechte indigener Völker sichert –, hat sich der Wind gedreht. Das Gemeinschaftseigentum ist wieder auf dem Vormarsch.
    Auch in der Wissenschaft ändert sich die Meinung über das gemeinschaftlich genutzte Eigentum. Nachdem das Private über Jahrzehnte hinweg als allein seligmachendes ökonomisches Prinzip galt, gewinnt neuerdings eine andere Schule Land zurück.
    »WAS MEHR WIRD, WENN WIR TEILEN«
    Vorreiterin des neuen Denkens ist die amerikanische Umweltökonomin und Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom. Sie untersuchte den Gewinn einer Gesellschaft, die ihre knappen Güter gemeinschaftlich bewirtschaftet. Die Wissenschaftlerin stieß damit eine neue Diskussion über die sogenannten Commons an und erhielt für ihr Werk im Jahr 2009 den Wirtschaftsnobelpreis.
    Sie widerlegt darin die These, dass gemeinschaftlich genutztes Land grundsätzlich zum Untergang bestimmt sei. Dies hatte der Ökologe Garrett Hardin in den 1960er-Jahren in seinem berühmt gewordenen Aufsatz über die »Tragik der Allmende« behauptet. Er vertrat die Ansicht, dass gemeinsam genutzte Flächen zwangsläufig über Gebühr beansprucht und damit entwertet würden. Gemeinsam genutzte Wiesen würden von zu vielen Kühen zertrampelt, gemeinsam genutzte Fischgründe leer gefischt, gemeinsam genutzte Wälder abgeholzt. Da jeder nur seinen Vorteil, nicht aber seine Verantwortlichkeit sehe, sei im System des Gemeineigentums dessen Niedergang bereits angelegt.
    Dem widerspricht Elinor Ostrom entschieden. Ob das System funktioniert, ist für sie im Wesentlichen eine Frage der Regeln. Unter der Voraussetzung, dass diese für alle gelten, kontrolliert und sanktioniert würden, sei das Gemeineigentum dem privaten durchaus überlegen, weil es neben dem wirtschaftlichen auch einen zusätzlichen sozialen Gewinn verspricht: Zusammenhalt, Gemeinsinn, Verantwortung und Respekt; kurz eine Lebensqualität, die dem Privaten fehle, da es auf Vereinzelung und Gegeneinander angelegt sei. In der Gemeinschaft liegt für Ostrom der dritte Weg, mit den Problemen unseres Lebens umzugehen: »Ich bin dagegen, bei jedem Problem die Lösung ausschließlich beim Markt oder beim Staat zu suchen.« In ihrem Buch Was mehr wird, wenn wir teilen 11 beschreibt sie als ein Beispiel für erfolgreiche Gemeinnutzung die Hummerfischer im US-Bundesstaat Maine.
    Die Fischer hatten, wie viele ihrer Kollegen an der
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