Bodenrausch
Sozialpflichtigkeit des Eigentums wurde nicht nur damit begründet, dass es eigentlich Gott gehöre und nur zum »Nießbrauch« übergeben wurde, sondern auch damit, dass die Menge der Güter nicht vermehrbar sei, mit der Folge, dass das, was der eine besitze, auch immer das sei, was dem anderen fehle. »Des einen Mehr ist des anderen Weniger, der Reichtum der Wohlhabenden geht daher notwendigerweise zu Lasten der Armen, deren Anteil so verkürzt wird«, schreibt Manfred Brocker über den damaligen Eigentumsbegriff.
Diese grundsätzliche Ablehnung des Privateigentums entsprach jedoch immer weniger der Realität. Die Kirche sammelte unter ihrem Dach im Lauf der Zeit weltliche Güter und Ländereien an, die sie von Mitgliedern ihrer Gemeinde erhielt und mit deren Erträgen sie die steigenden Ausgaben für die eigene Organisation bestritt. So besaß die Kirche im westfränkischen Reich Ende des 7. Jahrhunderts ein Drittel des urbaren Landes. Dem Kloster Fulda wurden vom 7. bis zum 9. Jahrhundert 600 Bauerngüter gestiftet, insgesamt über 150000 Hektar, und das war kein Einzelfall. 6
Die Rechtfertigung für das wachsende Eigentum in den Händen der Kurie lieferte der Kirchentheoretiker Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert. Dabei stützte er sich auf die Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles, der in der Antike ebenfalls gegen die Idee der Gemeinschaftsgüter zu Felde zog. Thomas von Aquin blieb zwar grundsätzlich dabei, dass alles Eigentum Gott gehöre, führte aber neu ein, der Mensch könne irdisches Eigentum durchaus für seine Zwecke nutzen.
Seine Gründe dafür waren mehr zweckmäßiger Natur. Zum einen musste es Privateigentum geben dürfen, weil es in der Welt außerhalb und innerhalb der Kirche sowieso längst Einzug gehalten hatte und die Verhältnisse nicht mehr zurückgedreht werden konnten. Zum anderen brachte er drei wichtige Gründe ins Spiel, die für die private und gegen die gemeinschaftliche Nutzung sprachen. Erstens führe privates Eigentum dazu, dass sich die Menschen darum kümmern und es nicht verkommen lassen. Zweitens gäbe es ein großes Durcheinander, wenn sich jeder um alles sorgen müsse. Wer Eigentümer sei, wisse hingegen, welche Aufgabe er habe und auch welche Verantwortung. Drittens gewährleiste dies »die friedliche Verfassung der Menschen besser«. Hier tritt der Gegensatz der Aquin’schen Lehre zu den Ansichten seiner Kirchenväter deutlich zutage. Denn die erwarteten von einer Privatisierung der Dinge genau das Gegenteil, nämlich Neid, Missgunst, Mord und Totschlag, Unfrieden und Krieg. 7
Die Argumente des Thomas von Aquin blieben in der weiteren Kirchengeschichte nicht unwidersprochen, aber sie setzten sich schließlich durch und versöhnten die Kirche so mit der Welt der Fürsten und Könige, die ihre Eigentumsansprüche jetzt guten Gewissens und mit dem Segen der Kirche durchsetzen konnten. »So handelte auch der Reiche nicht unerlaubt, wenn er sich als Erster in den exklusiven Besitz einer Sache setzte, die zuvor Allgemeineigentum war«, formulierte Thomas von Aquin und rechtfertigte seine Position mit der zeitgenössischen Theologie: »Die Sünde verlangt das Privateigentum und sie verlangt es notwendig.« 8 Auch die soziale Verpflichtung des Eigentums verlor bei dem Kirchenlehrer ihre Kraft. Er schrieb den Reichen das Recht zu, so viel zu besitzen, wie sie es zu einer standesgemäßen Lebensführung brauchen.
Mit der Wende vom Gemeinschafts- zum Privateigentum war der Friede mit der Welt gesichert, aber der innerkirchliche Friede war es nicht. Besonders der Orden der Franziskaner wollte sich nicht mit diesem politisch-pragmatischen Schachzug abfinden. Aber die Kirchenmehrheit, angeführt von den Dominikanern und Jesuiten, verteidigte die neu errungene Position des Privateigentums, auch wenn sie immer wieder infrage gestellt wurde. Etwa von den sogenannten Wiedertäufern in Westfalen, die das »sündhafte Eigentum als Wurzel allen Streites und allen Haders aufzuheben trachten«. 9 Doch dies blieb nach dem 13. Jahrhundert eine gesellschaftliche Außenseiterposition.
Die alte Idee der frühen Christen ist damit nicht tot. Sie hat die Jahrhunderte überdauert und ihre Verfechter fragen immer wieder aufs Neue, ob das Absegnen des Privateigentums durch die Kirche nicht doch ein Fehler war – aus opportunistischen Erwägungen geboren, aber mit dem Willen Gottes nicht zu vereinen. Unterstützung finden die Kritiker zum Beispiel in der Philosophie des
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