Bodenrausch
allgemeines Gut, das in Selbstverwaltung geteilt und bewirtschaftet wurde, wie in Asien, Afrika und Südamerika.
Die blanke Größenordnung der betroffenen Flächen zeigt, dass wir es hier nicht mehr mit regionalen Problemen einzelner Staaten zu tun haben, sondern mit einer globalen Herausforderung. Allein bis 2010 sollen nach den Recherchen des Hilfswerks Oxfam über 200 Millionen Hektar den Besitzer gewechselt haben. Und ein Ende des Bodenrauschs ist nicht in Sicht. Damit leben Millionen von Kleinbauern auf unsicherem Boden und können ihr angestammtes Land verlieren. Land, das für sie mehr bedeutet als ein Mais- oder Hirseacker, mehr als die Weide für ihr Vieh, mehr als die Kornkammer ihrer Familie. Es steht für persönliche Identität. Land bedeutet Heimat, besonders in Südamerika, Asien und Afrika.
Die Afrikanische Union hebt dies in ihrer Stellungnahme zu den fortschreitenden Bodenverkäufen besonders hervor, doch ohne Erfolg. Die Entwurzelten flüchten in die Slums der Großstädte, wo sie als landloses Proletariat die Zahl der Armen und Hungernden weiter vermehren.
Die soziale Abwärtsspirale, die mit dem Landverlust beginnt, endet in einer explosiven Gemengelage. Das macht den Bodenrausch so brandgefährlich.
Bisher steht »Land Grabbing« noch nicht auf der Tagesordnung des Weltsicherheitsrates, Ausmaß und Risiken werden offenbar verkannt. Zwar versuchen die Weltorganisationen, Regeln aufzustellen, nach denen in Zukunft verfahren werden soll. Aber bei genauerem Hinsehen handelt es sich um bloße Benimmregeln, um einen Knigge für den Umgang mit heiklen Grundstücksfragen.
Die Weltbank, die Welternährungsorganisation FAO und andere UN-Gremien haben sich auf die »Principles for Responsible Agricultural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources« 2 geeinigt. Diese Vereinbarung legt Mindeststandards fest, aber sie ist nicht bindend, sondern nur freiwillig. Mit der gängigen Praxis der Landnahme hat sie jedoch nichts zu tun. Die gehorcht längst ihren eigenen Gesetzen. Anspruch und Wirklichkeit könnten nicht weiter auseinanderklaffen, wie die folgende Gegenüberstellung der Prinzipien und der Realität zeigt.
Bestehende Landrechte sollen respektiert werden.
Die Wahrheit ist, dass in vielen Ländern solche Rechte gar nicht existieren, zumindest nicht auf dem Papier. Sie müssten erst erfasst und zugeordnet werden. Solange dies nicht der Fall ist, kann niemand Anspruch auf einen Kaufpreis oder eine Entschädigung erheben. Und welcher unabhängige Richter könnte ohne Rechtsgrundlage Streitigkeiten klären?
Investitionen sollen die Ernährungssicherheit nicht gefährden, sondern stärken.
Tatsächlich sind in vielen Fällen die Verträge längst ausgehandelt. Soweit die Dokumente überhaupt eingesehen werden können, erlauben sie meist, dass die gesamte Ernte außer Landes gebracht wird und nichts auf dem lokalen Markt landen muss. Auch dort nicht, wo die Bevölkerung hungert. Üblicherweise bekommen vertriebene Bauern und Hirten kein Ersatzland, das sie ausreichend ernähren könnte. Und wenn sie Jobs auf der Großfarm erhalten, dann zu Hungerlöhnen. Die Mehrheit der Investoren hat mit der Ernährungssicherheit im »Gastland« nichts zu schaffen.
Landübergaben und damit verbundene Investitionen sind für alle Beteiligten transparent, überprüfbar und verbindlich, und dies in einem sauberen geschäftlichen, rechtlichen und Verwaltungsumfeld.
Die Realität sieht anders aus. Verträge zwischen Investoren und nationalen Eliten werden auf Dinnerpartys ausgehandelt und in Nacht-und-Nebel-Aktionen umgesetzt. Die Forderung, mit allen, deren Hab und Gut betroffen ist, zu verhandeln und die Ergebnisse schriftlich festzuhalten sowie notfalls zwangsweise durchzusetzen, ist weit entfernt von der Praxis der Landnahme, wie sie seit 2007 beobachtet und von der Weltbank selbst in ihrem Bericht 2010 dokumentiert wird. 3
Investoren ordnen sich dem Gesetz unter, arbeiten nach besten Standards, wirtschaften nachhaltig und teilen langfristig ihre Gewinne.
Die Frage ist, mit wem die Investoren teilen, mit der verdrängten Landbevölkerung oder mit den Aktionären? Und die Gesetze, denen sie sich unterordnen, haben meist die nationalen Eliten im eigenen Interesse und dem des Investors gemacht. Da dürfte das Unterordnen keinem Geldgeber schwerfallen.
Investitionen führen zu erwünschten sozialen Folgen und Verteilungseffekten und verschärfen nicht die Verwundbarkeit der Bevölkerung.
Leider führen
Weitere Kostenlose Bücher