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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
Autoren: Tamar Yellin
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mit dem Fischerboot nach Jaffa. Mit orientalischen Gewändern verkleidet, erhielten sie Zutritt zur Stadt und ließen sich um die Ruine der Synagoge von Rabbi Jehuda dem Frommen herum nieder.
    Als mein Urgroßvater ankam, lag Jerusalem noch innerhalb der Stadtmauern. Nachts wurden die Tore geschlossen und morgens wieder geöffnet, und um die Stadt herum waren Wildnis, wilde Tiere und Räuber.
    Vielleicht war das mit der Wildnis auch übertrieben. Es gab Dörfer: Et Tur, Lifta, Deir Yassin. Im Dorf Silwan wurde Gemüse angebaut, und aus Kolonya wurden Rosen gebracht. Die Rosen wurden nach Gewicht verkauft, und während der Saison konnte man die Fellachinnen dabei beobachten, wie sie sie auf dem Weg hinauf zum Jaffator im Aquädukt tränkten.
    Es gab eine Stadt der Straßen und eine Stadt der Dächer. Man konnte Jerusalem durchqueren, ohne den Fuß auf den Boden zu setzen. Jede Katze wusste das und jeder Dieb. An kühlen Abenden gingen die Bürger Jerusalems auf die Dächer hinauf und genossen das Lüftchen. Frauen saßen hinter perforierten Wänden, sodass sie alles sehen, aber nicht gesehen werden konnten. Man besuchte die Nachbarn, indem man von einem Dach auf das nächste trat.

    Die Stadt war überfüllt und die Häuser klein. Dennoch standen ganze Zimmer leer, denn es war üblich, Müll in die Kellerkammer des Hauses zu werfen, wo er vergammelte, bis ihn junge Burschen auf Eseln durch das Misttor schafften und auf die Müllhaufen vor der Stadt warfen.
    Und als man das Misttor in dieser Angelegenheit befragte, antwortete es: »Lieber den Müll von Jerusalem als die Juwelen der ganzen Welt …«
    Am Ende des Sommers stand das Wasser in den Zisternen niedrig, und man war gezwungen, Wasser aus dem Dorf Silwan zu kaufen. Die Jugendlichen des Dorfes brachten das Wasser auf dem Rücken in prall gefüllten Ziegenlederschläuchen aus der Quelle von Ein Rogel. Wenn das Wasser in den Zisternen niedrig stand, bildete sich ein Schmutzfilm an der Oberfläche, und manchmal bekamen die trockenen Zisternen Risse, und von den nahe gelegenen Wasserklosetts drang Abwasser ein. Selbst wenn die Zisternen sauber waren, wurden sie mit Regenwasser gefüllt, das nicht immer rein war. Der Regen rann durch Kanäle, in denen sich Staub und Schmutz angesammelt hatten, und an den Straßen entlang verliefen offene Rinnsteine, die von Gemüseblättern und den Ausscheidungen der Hunde und Kamele verstopft waren.
    Jerusalem war voller Hunde, und sie vermehrten sich rasant. Die Muslime hassten sie wie den Teufel, im Gegensatz zu den Katzen, die sie liebten. Die Hunde liefen jedem Laternenträger in der Nacht hinterher und erfüllten die Gassen mit nächtlichem Geheul und unheimlichen Geräuschen. Sie wühlten in den Überresten des Gemüsemarkts in der David-Straße und lungerten an der Gerberei neben der Grabeskirche herum. Sie kämpften vor dem Schlachthaus im Jüdischen Viertel um Innereien und fraßen die Kadaver der Esel und Kamele, die auf den Straßen verwesten. Schließlich
erbarmte der Pascha sich der Jerusalemer Bürger und wies seine Soldaten an, alle Hunde zu erschießen, was der Stadt eine Ausbreitung der Fieberkrankheit bescherte, denn es gab keine Hunde mehr, die das verwesende Aas fraßen.
    Im Oktober endete die Trockenheit, und es fiel jener Regen, den man den »schießenden Regen« nannte, denn die Tropfen fielen wie ein Kugelhagel. In der ganzen Stadt vollführte der Regen seinen Tanz: Er sprang von den Kuppeldächern und lief durch die Rinnsteine und Gossen und Kanäle in die Brunnen und Zisternen Jerusalems, verschwand durch die antike Kanalisation und Abflusslöcher in die ungeheuren Reservoire unter dem Tempelberg, Jerusalems wässernes Herz.
    Jerusalem war eine Stadt der Handwerker und kleinen Händler, in der die Juden ihre Nische fanden. Es gab jüdische Lebensmittelhändler, Blechschmiede, Zuckerverkäufer und viele, viele Schuhmacher. Es gab vierunddreißig jüdische Schneider; keinen muslimischen. Auf der anderen Seite waren alle sechsundsechzig Sargtischler Muslime (Juden wurden im Leichentuch bestattet).
    Kein Jude arbeitete auf dem Land oder im Steinbruch, baute Häuser oder besaß Land. Ihre Geschäfte ballten sich auf der Hajehudim-Straße, einer stinkenden, von zerschlissenen und schmutzigen Planen gesäumten Gasse mit schäbigen Weinläden und Auslagen von Plunder. Hier konnte man antiquarische Ausgaben des Talmud erwerben, jiddische Volksbücher, in denen die Wundertaten des Baal Shem Tov beschrieben wurden, und
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