Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
Autoren: Tamar Yellin
Vom Netzwerk:
wusste, was ihr vorhabt.«

    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    Er zieht sich mit einem angestrengten Ächzen durch das Loch im Boden hinauf, steht verwirrt, das Radio in der Hand, da und schaut sich enttäuscht auf dem Dachboden um.
    »Entschuldige«, sage ich ohne weitere Umstände, schiebe mich an ihm vorbei und lasse ihn verdattert stehen. Schnell steige ich hinunter. Ich habe keine Zeit zu verlieren, aber bevor ich fliehen kann, hält Cobby mich fest. Er hat heimlich mit der Journalistin gesprochen, die sich ein Mobiltelefon ans Ohr hält. Cobby wirkt beschämt, als hätte er einen schrecklichen Fauxpas begangen, und packt mich zitternd vor Verwirrung und Unglauben am Arm. Seine Augen sind blutunterlaufen und sein Gesicht grau, aber in der Klarheit des Augenblicks frage ich mich, ob das nicht immer so ist, und komme zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich immer so ist. Trotzdem, er scheint über irgendetwas sehr beunruhigt zu sein.
    »Ayala hier«, murmelt er, »hat mit dem Institut gesprochen.«
    Ich lächle Ayala an, die so frisch und manikürt aussieht, dass ich ihr auch zutrauen würde, mit dem Taj Mahal zu sprechen.
    »Er ist weg«, sagt Cobby tonlos.
    »Der Kodex?«
    »Sie finden ihn nicht mehr.«
    »Hm. Schlamperei.«
    »Er war aber noch da«, fährt Cobby fort, »als du dort warst?«
    »Als ich dort war?« Ich denke kurz nach. »Das will ich wohl meinen.«
    Ayala schaut mich verdattert an. »Ich dachte«, sagt sie, »Sie wüssten nichts über den Kodex?«

    »Tue ich auch nicht«, sage ich lächelnd, »aber ich wollte ihn trotzdem sehen.«
    »Jemand hat ihn gestohlen.« Cobby ringt die Hände.
    »Vielleicht haben sie ihn ja nur verlegt. Vielleicht hat ihn jemand am falschen Platz eingeordnet. Oder jemand vom Institut hat ihn ausgeliehen.«
    »Bist du sicher, dass er noch da war?« Cobby sieht mich bittend an. Ayala runzelt misstrauisch die Stirn.
    »Natürlich«, sage ich. Und dann sage ich wieder »Entschuldigung« und schiebe mich an ihnen vorbei in die Küche, wo der alte Mann inmitten eines Festmahls von Kekspackungen, Kuchenkrümeln, Käse und Pitastückchen sitzt. Das Geschrei im Wohnzimmer wird lauter. Ich stehle mich schnell zur Hintertür hinaus. Unter den Zypressen lehnt ein einsamer Kameramann und raucht. Auf dem verlassenen Platz ist niemand zu sehen.
    Ich renne ums Haus herum, und als ich nach vorne komme, sehe ich, dass die Versammlung in Aufruhr geraten ist: Eine Art Abschaum ist auf die Veranda herausgequollen, und mittendrin haben Saul und Cobby Krach. Cobby schreit. Saul schreit zurück. Cobby gibt Saul eine Ohrfeige. Ich bleibe nicht, um mir das Ergebnis anzuschauen. Wie ein entflohener Häftling renne ich, so schnell ich kann, fort, die leere Straße entlang.

Dreißigstes Kapitel
     
    Er stand auf dem Hügel, und vor ihm entfaltete sich der Surprise View. Vor ihm lag die grüne Flanke Englands. Felder und Bäume unter blauem Himmel. Hecken und Häuser; eine Biegung in einem braunen Fluss. Am Horizont schwach erkennbare Hügel, ein silbriger Dunst.

    Endlich war er hergekommen, auf diesen Gipfel. Wie er hergekommen war und auf welchen Umwegen, wusste er nicht mehr. Irgendwie war er über die Jahre seinen Weg entlanggestolpert. Sein Blick war immer auf denselben Horizont gerichtet.
    Es war nicht, was er erwartet hatte. Es war nicht, wo er sich selbst gesehen hatte.
    Aber es war dennoch derselbe Horizont, der, dem er all die Jahre hinterhergejagt war, und auch wenn es ein anderer als der beabsichtigte war, war er immerhin schön, war er immerhin grün. Man hätte schlimmere Horizonte anstarren können, am Rande der Dämmerung, in der Tiefe der Nacht, wenn man wusste, dass die Zeit zu Ende ging und das Ziel so weit entfernt war wie eh und je.
    Jetzt schien ihm, er habe sich seinen Weg durchs Leben gestümpert, er sei immer durch Nebel und unübersichtliche Kurven gegangen, ihm sei alles zufällig und ohne Absicht geschehen. Er sei getrieben worden von Sorgen und Bedenken, mitgespült von einem Strom, auf den er keinen Einfluss hatte. Und ihm schien auch, er habe nie in der Gegenwart gelebt, sondern immer nur in der Zukunft, zerrissen und aufgewühlt von tausendundeiner Möglichkeit, was er aus seinem Leben hätte machen können, kraftvoll, aber ewig unentschieden. Und wie kann ein Mann, der nicht weiß, was er will, über einen Mangel an Gelegenheiten klagen?
    Jetzt war er hier, am Ende, zerbrochen am Jerusalem in seinem Kopf, mein schwermütiger Amnon; mein Titus.
    So schauten wir in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher