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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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sieht ihn an, aber Dielan starrt vor sich ins Leere. Der graue Bart rahmt das zerfurchte Gesicht ein, und die Morgenbrise weht seine Haare durcheinander.
    »Brans Sohn wuchs heran und wurde ein kräftiger und viel versprechender Junge. Die Männer fragten meinen Bruder, ob es nicht bald an der Zeit wäre, ihn mit auf die Jagd zu nehmen, denn Ulv konnte bereits mit Speer und Bogen umgehen. Als Brans Sohn sechs Winter alt war, band Bran ihm die Haifischzahnkette um den Hals und erzählte ihm von seinem gottgegebenen Namen. Er erklärte Ulv, was er bedeutete und unter welchen Umständen er geboren worden war. Mein Bruder ermahnte seinen Sohn, die Kette mit Stolz zu tragen, so wie der König der Kinlender ihn damals gebeten hatte. Dann nahm er Ulv bei der Hand, küsste Tir und nahm seinen Sohn mit auf die Jagd.
    Wir waren vier Männer, Bran, Hagdar, Virga und ich. Virga hatte ein paar Steinwürfe vom Dorf entfernt eine Hirschfährte entdeckt, der wir folgen wollten. Es war Herbst und es regnete, als wir aufbrachen. Wir wanderten zwei Tage lang, als Virga frische Spuren entdeckte. Sie führten zu dem Höhenkamm, bei dem ich auf meiner ersten Jagd in diesem Tal einen Hirsch erlegt hatte.«
    Dielan wickelt sich fester in seinen Umhang, denn sein alter Körper fror trotz der wärmenden Sonne über dem Tal.
    »Ich erinnere mich noch, dass es aufhörte zu regnen. Weit weg heulten ein paar Wölfe. Bran forderte uns auf, über den Höhenzug zu steigen und die Hirsche aus dem Birkenwald auf der anderen Seite hochzutreiben. Er selbst wollte mit Ulv zusammen am Eingang der Schlucht warten, wo er bei unserer ersten Jagd die Wölfe beim Verschlingen ihrer Beute beobachtet hatte. Erinnerst du dich noch daran, Shian?«
    Shian nickt, aber Dielan sieht ihn gar nicht an. Er kneift die Augen zusammen, und die Runzeln in seinem Gesicht werden tiefer. »Hagdar, Virga und ich stiegen also über den Bergkamm. Von oben konnten wir sehen, dass zwischen den Birken dichter Nebel lag. Wie eine Decke lag er über dem ganzen Tal. Wir hörten keine Hirsche, aber Hagdar meinte, dass er sie riechen könnte. Und so begaben wir uns hinab zwischen die Birken, während Bran und sein Sohn den Höhenzug entlang zu der Schlucht gingen. Dort wollten sie warten, und dort sollte Ulv seinen ersten Hirsch erlegen.
    Ich war nicht dabei, als es geschah, aber Bran hat mir hinterher erzählt, er und Ulv seien bis zum Eingang der Schlucht gegangen und hätten ihre Bögen schussbereit gemacht. Bran hatte seinen Sohn aufgefordert, dort oben zu bleiben, während er selbst in einem Bogen den Hang hinunterlaufen wollte. Er wollte die Hirsche auf Ulv zutreiben, damit er die Ehre der Beute hätte. Aber als Bran den Waldrand erreichte, breitete sich der Nebel auch zwischen den Berggipfeln aus. Wolfsgeheul erklang aus der Schlucht. Da rief der Junge einmal nach Bran. Danach war alles still.
    Wir rannten in Richtung der Schlucht und kämpften uns durch das Unterholz. Als wir den Waldrand erreichten, sah ich Bran wie einen Schatten im Nebel. Er lief vor uns her, in die Schlucht hinein, und rief nach seinem Sohn. Aber er bekam keine Antwort.
    Wir suchten den Birkenwald ab. Wir kletterten den Hang hinauf und suchten nach Spuren. Erst als der Tag sich seinem Ende zuneigte, rief Bran nach uns. Er hatte eine Spur entdeckt. In der Schlucht. Es waren nur ein paar abgeknickte Grashalme, aber Bran war überzeugt, dass sie von seinem Sohn stammten, der auf der Flucht vor den Wölfen in die Schlucht gerannt war. Die ganze Nacht kletterten wir zwischen riesigen Felsbrocken und Steinhalden durch die Schlucht, und als wir am anderen Ende anlangten, stiegen wir noch den Berghang hinauf.
    Als der Morgen anbrach, befanden wir uns hoch über dem Tal. Bran hatte uns an einen Steilhang geführt, der mit Moos und Flechte bedeckt war. Wir standen über dem Nebel. Ich sehe noch vor mir, wie mein Bruder in die kühle Morgenluft schnupperte, sich über den Boden beugte und nach Spuren im Moos suchte. Sein Gesicht war verzerrt. Diese Nacht hatte ihn zehn Winter altern lassen.
    Plötzlich stieß Virga einen lauten Schrei aus und zeigte auf einen großen Felsblock, der wenige Pfeilschüsse über uns wie ein Reißzahn aus dem Hang ragte. Und da sahen auch wir den Wolf auf dem großen Felsblock. Es war derselbe Wolf, den Bran auf seiner ersten Jagdtour in diesem Tal gesehen hatte. Wir sahen die Narbe, die sich durch das graue Nackenfell zog, und das zerfetzte Ohr. Er hatte Ulvs Umhang im Maul.
    Bran verlor die
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