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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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noch andere Spuren. Mit ein wenig Glück könnte er sich so nah an sie heranschleichen, dass er sehen konnte, wo die anderen Hirsche abgeblieben waren. Den heiligen Tieren Beute wegzunehmen, wäre unehrenhaft.
    Bran hatte Gegenwind, aber er wusste, dass ihm das nur begrenzt helfen würde. Turvi hatte vom Spürsinn der Wölfe gesungen. Sie spürten die Nähe von Menschen. Sie waren Geschöpfe Ekserks, hatte der Einbeinige gesagt. Bran erinnerte sich kaum noch an die alten Götter, sie gehörten zu dem Leben, das er vor der Fahrt über das Meer gelebt hatte. Aber vielleicht war die Zeit gekommen, dass die alten Götter wieder zu ihnen sprachen.
    Da hob einer der Wölfe plötzlich den Kopf. Er war groß, mit einem breiten Brustkorb und einem zerfetzten Ohr. Bran wusste, dass er entdeckt war, und erhob sich. Der Leitwolf sprang auf die Beute und fletschte die Zähne. Er war dunkler als die anderen, fast schwarz am Rücken. Das Rudel unterbrach seine Mahlzeit. Der Leitwolf sah Bran an, und Bran erwiderte seinen Blick. Die anderen Wölfe witterten in der Luft. Von ihren Lefzen tropfte Blut. Der Leitwolf sprang von dem Hirsch herunter und stellte sich vor das Rudel. Und da sah Bran die lange Narbe, die sich über seinen Nacken zog. Er griff sich an den eigenen Nacken und strich über die glatte, weiße Narbe, wo ihn die Vokkerkeule getroffen hatte.
    Da hallte ein Brüllen, fast menschlich in seinem Schmerz, durch das Tal. Bran wandte sich in die Richtung, aus der es kam. Einen Pfeilschuss entfernt im Birkenwald fingen Äste an zu schwingen. Zweige knackten und etwas Schweres fiel zu Boden. Braune Wesen stoben zwischen den Bäumen davon.
    »Bran!«, schallte Dielans Ruf von unten herauf. Bran konnte ihn zwischen den Bäumen erkennen. »Ich habe einen Hirsch erlegt!«
    Bran drehte sich zu den Wölfen um. Das Rudel war aufgeschreckt worden und rannte in die Schlucht hinein. Ihre breiten Pfoten trugen sie über den Schnee. Nur der Leitwolf blieb bei der Beute stehen. Er senkte den Kopf und knurrte. Bran blinzelte. Er hatte blaue Augen. Im nächsten Moment warf er sich herum und folgte seinem Rudel.
     
    Bran ging nach unten in den Birkenwald. Dielan rief mehrmals nach ihm, aber Bran antwortete nicht. Als er bei dem erlegten Tier ankam, empfing sein Bruder ihn mit dem Bogen in der Hand.
    »Bete mit mir, Bruder.« Dielan kniete sich neben den Hirsch.
    Bran tat, worum sein Bruder ihn bat. Er legte die Hand auf das warme Fell. Dielan hatte gut getroffen. Der Pfeil steckte tief in der Brust des voll ausgewachsenen Hirsches. Es gab nur wenige Spuren um den Körper. Er musste bereits tot gewesen zu sein, ehe er auf der Erde aufgeschlagen war.
    Dielan strich mit den Fingern über das gezackte Geweih. »Das war ein prächtiges Tier, Bran. Hätten wir mehr zu essen, wäre er am Leben geblieben.« Er kniff die Augen zusammen. »Wir werden dich ehren und uns in unseren Liedern an dich erinnern. Du hast uns Leben gespendet in der ersten Zeit hier im Tal. Dein Blut soll in unseren Adern fließen.«
    Bran blickte auf. Virga kniete mit Tränen in den Augen neben dem Tier. In seinem Volk hatte es nie Jäger gegeben, dachte Bran, als er das Messer aus der Scheide zog und sich erhob. Virga trat beiseite, als Bran sich breitbeinig über das Tier stellte, mit der Messerspitze die Bauchhaut durchstach und sie aufschnitt.
     
    Virga stand in sicherem Abstand zwischen den Birken und schaute zu, wie Bran und Dielan den Hirsch zerlegten. Die Brüder hatten das schon öfter gemacht, als sie sich erinnern konnten, und verrichteten schweigend ihre Arbeit. Bran nahm die Eingeweide heraus und Dielan zog das Fell ab. Es dauerte lange, ein so großes Tier zu häuten, aber sie wussten auch, dass sie es zu dritt nicht schaffen würden, das Tier zu transportieren, wenn sie es nicht vorher zerlegten. Als Dielan mit dem Häuten fertig war, wickelte Bran die Eingeweide in das blutige Fell. Dann forderte er Virga auf, Äste zu suchen, die sie zu Zugschlitten zusammenbinden konnten, was der Junge nur zu bereitwillig tat.
     
    Der Tag war schon ziemlich weit vorangeschritten, als die Brüder die Beute auf die drei Zugschlitten verteilt hatten. Sie zurrten ihr Gepäck fest und zogen die Schlitten hinter sich her auf den Bergkamm. Dielan zeigte zum Himmel. Ein Rabe segelte dicht über den Baumkronen. Bran nickte. Er wusste, warum, und als sie den Kamm erreichten, schob er die Kapuze in den Nacken und zeigte auf die Raben, die über dem Kadaver kreisten. Er erzählte
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