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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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sagten, dass sie sich auf eine lange Wanderung begeben müssten.« Hagdar wischte sich mit einem dicken Finger unter der Nase entlang. »Das war alles.«
    Bran überquerte die Lichtung und ging zu dem Grab. Dort blieb er stehen, starrte auf den weißen Schnee und versuchte, Turvis Bild heraufzubeschwören. Aber sein Gesicht war verschwommen und seine Stimme nicht mehr als eine schwache Erinnerung. Da wandte er sich von dem Grab ab, legte den Fellumhang fester um Ulv und lief über den ausgetretenen Pfad hinunter zum Fluss. Turvi hat sich einen guten Platz zum Sterben ausgesucht, dachte er. Sie würden jeden Tag bei ihm vorbeikommen, um Wasser zu holen.
    Er folgte dem Pfad zum Fluss hinunter. Er lag unter einer dicken Eisschicht, aber am Ufer hatte jemand ein Loch hineingehackt. Bran schnupperte in die Frostluft und sah zu der Felsscharte hoch, die sie in das Tal geführt hatte. Die Waldgeister hatten sein Volk verlassen. Sie hatten ihn verlassen. Aber er wusste, dass es so sein musste. Sie waren gekommen, um sein Volk auf dem Weg in das Tal zu begleiten. Aber die Heimat der Waldgeister war der Westwald.
    Die Bäume warfen helle Schatten auf den Schnee. Bran blickte nach Westen. Die Sonne hing wie ein rot glühendes Kohlestück zwischen den Berggipfeln. Die Nacht brach hier im Tal schnell herein, und die Dunkelheit senkte sich bereits über die Eichen.
     
    Bran stand am Flussufer, als der Abend in die Nacht überging. Er hielt das Gesicht in den schwachen Westwind. Weit entfernt hörte er ein Rauschen wie von Wind, der zwischen Felsen wehte. Er wärmte seinen Sohn unter seinem Umhang und lauschte auf die Krähen am Talhang, das Gewirr der Stimmen auf der Lichtung und auf das Knistern der Feuer.
    Nach einer Weile kam Tir, um ihn an das Feuer in der Erdhöhle zu holen. Er legte den Arm um sie und strich mit der Hand über ihre schmalen Schultern. Sie zitterte. Die anderen warteten mit frisch gebratenem Hirschfleisch und warmen Fellen auf ihn.
    Bran senkte den Kopf. Er hätte Freude spüren sollen, aber in ihm brannte noch immer die Sehnsucht. Er drehte sich zum Eichenwald um und zu dem Grab, aber Tir hielt ihn am Arm fest. Sie zeigte zum Himmel und zu den Bergen im Süden. Unter Kraggs Flügeln schimmerte das Nordlicht und breitete einen Eisschleier über das Tal. Es wogte wie ein mächtiges Meer. Dann erlosch es ebenso schnell, wie es entflammt war, und löste sich in der Nacht auf.
     
    Der Alte hebt den Blick und schaut über das Tal. Die Laubkronen der Eichen sind feucht vom Morgentau. Die Sonne scheint schwach auf die laubschweren Äste, aber über dem Waldboden liegt noch immer ein dünner Nebelschleier. Er schließt die Augen und lauscht den Stimmen auf der Lichtung. Ein Mann hustet, ein Kind weint. Das Dorf erwacht.
    Er hat die halbe Nacht mit gekreuzten Beinen dagesessen und spürt seine empfindlichen Knie nicht mehr. Sein Brustkorb schmerzt, und er weiß, dass er damit leben muss. Sechs mal zehn Winter lagen hinter ihm und die Schmerzen erinnern ihn daran, dass noch Lebenskraft in ihm ist.
    »So kam unser Volk in das Tal.« Er sieht den Jungen an, der dicht an ihn herangerückt ist. Shian starrt auf die Berge im Westen, und der Alte klopft ihm auf die Schulter. »Mein Bruder hat uns hierher geführt, so wie die Götter es ihm gesagt haben. Wir werden ihn dafür immer in Erinnerung behalten.«
    Der Junge setzt sich auf und sieht den Alten mit feuchten Augen an. »Du hast noch nicht alles erzählt, Großvater Dielan.« Er schluckt und wischt sich die Tränen von den Wangen. Es tut dem Alten weh, den Jungen so zu sehen, und er klopft ihm besänftigend auf den Rücken. Aber Shian schüttelt den Kopf. »Vater hat gesagt… Er hat erzählt, warum Bran nicht mehr bei uns ist.«
    Dielan richtet den Blick wieder auf das Tal, zieht den Umhang über die Ohren und schließt die Augen. Er hört die Hammerschläge aus Hagdars Schmiede, Gelächter und das Rascheln trockener Zweige. Er sitzt oft so da und lauscht, denn die Geräusche aus dem Dorf erinnern ihn an die Zeit, als Bran noch bei ihnen war.
    »Das war ein harter Winter.« Er räuspert sich und lässt seinen Arm auf der Schulter des Jungen ruhen. »Die Kälte sprengte die Äste der Eichen, und die Eisschicht über dem Fluss war so dick, dass es einen halben Tag dauerte, ein Loch hineinzuhacken. Es war ein Segen, dass Hagdar die Männer dazu gebracht hatte, das Langhaus so schnell zu bauen, das rettete uns über die erste Zeit. Wir versammelten uns allesamt dort
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