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Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter
Autoren: Tobias O. Meißner
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Himmel?«
    Â»Sssssssssssssssssssssssskorrrrpiiiiiooooone?«
    Â»Skorpione? Ja, die gibt es auch dort draußen. Im Sommer. Unterm Sonnenmond. Unter jedem Stein, jeder verfluchten Wurzel wimmelt das Leben. Es ist ein Unglück, das ein Ende haben sollte.«
    Nun wollte der Sitzende sich erheben, war jedoch zu schwach. Raukar stützte ihn und half ihm zur Tür. Die Tür öffnete sich nun wieder an der richtigen Seite.
    Sie gingen zusammen durch den steinernen, finsteren Korridor und kamen an einem Tisch vorüber, an dem die Wachen saßen. Sie waren festgenagelt an Tischplatte, Stühlen, Wänden und Boden. In jedem von ihnen steckten mindestens einhundert lange, rostige Nägel. Das sah sehr seltsam aus. Die toten, durchbohrten Gesichter waren verzerrt von Schrecken und Pein.
    Der Mann, der seinen Namen vergessen hatte, meinte sich erinnern zu können an eine Zeit, in der es etwas anderes gegeben hatte als Schrecken und Pein. Aber die Erinnerung fiel ihm aus den Händen wie ein weiteres verkümmertes Insekt, und er wankte mit seinem neuen Begleiter hinaus in die flirrende Lärmigkeit des Sommers.

1

Ein zerbrochenes Fenster
    Naenn wurde geschubst und gestoßen, die Menschen drängten über den Markt, weil weiter hinten plötzlich jemand seine Waren zu Schleuderpreisen feilbot. Beinahe strauchelte sie über einen Korb voller Birnen, fing sich an der Stange ab, welche die Plane des Standes stützte. Die Marktfrau schaute ihr argwöhnisch ins Gesicht, wie alle in Warchaim dies taten, obwohl oder weil sie mitten im Sommer ihren Mantel trug, um ihr Gesicht im Schatten der Kapuze bergen zu können. »Ist dir nicht gut, Mädchen?« fragte die Marktfrau und machte groß und klobig zwei Schritte auf sie zu, doch Naenn wich zurück und lief davon. Vielleicht hatte die Frau es ja nur gut gemeint, vielleicht hätte aber auch sie mit den Fingern auf sie gezeigt. Naenn war heiß und unwohl, seit Tagen schon mußte sie sich morgens übergeben. Vor Cajin konnte man das alles nicht verbergen, Cajin war überall, in allen Zimmern gleichzeitig mit seinem besorgten und munteren Gesicht. Sie hatte ihm verraten müssen, was ihr fehlte, er hätte sich sonst nur Sorgen gemacht und sie unnötigerweise in das Helelehaus geschickt. Er wußte nun Bescheid und zweifelte an ihr und ihrer Weisheit. Dies war kein Alptraum. Dies war tatsächlich aus Warchaim geworden seit der Nacht, in der das Fenster brach. Jeden Tag ging Naenn nun zum Markt und andere Besorgungen machen, ob sie nötig waren oder nicht. Sie hielt es nicht mehr aus in der Enge der kleinen Zimmer. Unfaßbar, wie Rodraeg es in einem ohne Fenster aushalten konnte. Sie selbst riß ihres auf, und der warme Gestank der Stadt schwallte ihr entgegen und trieb sie vor sich her, all die Kloaken und die Fäulnis von den Müllhaufen der Höfe. Sie vergrub sich in ihrem Garten. Die Mauern spendeten ihr tagsüber Kühlung und strahlten am Abend noch Sonnenwärme ab, wenn sie auf ihren vier mal vier Schritten Heimat Tomaten pflanzte und stützte, wenn sie die jungen Triebe ihrer Kräuterpflanzen aberntete, Karotten, Rote Bete, Mangold, Erbsen, Frühkohl, die ersten Strauchbeeren pflückte, um daraus süßen Brotaufstrich zu kochen, der Cajin so sehr mundete. Wenn sie Endivien säte, Spinat und Fenchel und alles mit einem dunkelblauen Kännchen goß, weil der Regen sich rar machte in diesem Sonnenmond.
    Ein Warchaimer stellte ihr nach, ein junger gutgekleideter Kerl mit großen Händen, der von ihrem »Sonnenmund« sprach und ihrem »schönen Atmen«. »Ich lebe mit fünf Männern zusammen«, drohte sie ihm, als er vor zwei Tagen, während in den Gassen das Lunfest lärmte, am Waldrand hinter ihr auftauchte. Er lachte nur und sagte: »Die sind doch nie da. Du mußt sehr einsam sein, du schönes Wild.« Sie rannte und verbarg sich, beide Hände auf ihrem Bauch. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie hätte ihn niederschlagen wollen und auch können für seine Dreistigkeit, aber sie dachte an die friedlichen Weisheiten ihres Volkes und an Rodraeg, wie er sich hilflos geprügelt hatte, um das Verhängnis von ihr abzuwenden.
    Das Fenster war zerbrochen, mitten in der Nacht.
    Sie zählte die Tage seit dem Fenster, die Tage, in denen Rodraeg und Hellas und Bestar und Eljazokad immer noch nicht zurück waren von ihrer Wandryer Mission. Cajin
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