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Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall

Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall

Titel: Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Autoren: David Hewson , Soren Sveistrup
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und ging in die Wildnis hinaus, und dabei rief er immer wieder einen Namen.
    »Danke«, sagte das Mädchen, als Lynge die Kellertür aufgebrochen hatte.
    Hübsch. Blond. Müde. Wütend.
    Aber nicht in Panik. Noch nicht.
    Er drehte sich um und schloss die Tür hinter sich.
    In einer Stunde würden sie beide woanders sein. Draußen in den Sümpfen. In einer Jagdhütte. Einem Holzlager. Er kannte den Pfingstwald wie seine Westentasche. Fand dort jederzeit ein Plätzchen. Konnte sie in dem kalten schwarzen Wasser waschen, ihr die Nägel schneiden, sie in Besitz nehmen.
    »Dann gehe ich jetzt«, sagte sie.
    Er lehnte sich an die Wand. Sah sie an. Zwei Jahrzehnte lang, eine in jedem November, wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Hauptsächlich Nutten und Pennerinnen. Abschaum am Rande der Welt, genau wie er. So viele im Lauf der Jahre, dass sie mit der Zeit alle miteinander verschwammen. Aber die hier war anders. Die hier war schön und jung und rein.
    Er öffnete seinen Aktenkoffer, nahm das Fläschchen mit dem Äther und den Knebel heraus, legte beides auf den Boden. Löste seinen Gürtel, nahm eine Rolle Isolierband aus dem Koffer und schnitt einen Streifen ab. Er packte sie in dem Moment, als sie losschrie. Starke Arme um ihren goldenen Kopf, starke Finger, die ihr das Band auf den hübschen Mund klebten, ein harter Schlag auf den Schädel, der sie niederstreckte. Leicht, dachte er.
    Es ist immer leicht. Sie bettelten ja geradezu darum. John Lynge sah auf seine Uhr. Dann fing er an.
    »Warum hätte Vagn das tun sollen?«
    »Ich muss mir Gewissheit verschaffen. Ich will’s nicht noch einmal versemmeln. Noch mehr Leid verursachen.«
    »Ist das möglich?«
    »Ja. Ist es.«
    Er blinzelte. Nahm das Messer, schälte weiter den Apfel, ohne zu merken, dass das Fruchtfleisch braun angelaufen war. Der durchsichtige Schlauch in seinem Arm hüpfte unter dem Beutel an der silbernen Stange auf und ab.
    »Du gehst jetzt besser«, sagte er.
    Sie hielt das letzte Foto zurück. Es war nicht der richtige Zeitpunkt. Später. Wenn es ihm besser ging. Wenn er wieder ganz auf der Höhe war.
    »Nicht lange, und du bist wieder im Präsidium. Sobald Brix zur Einsicht kommt. Sobald du die Unterlagen durchgesehen hast, sage ich dir, was …«
    »Raus!«, schrie er.
    »Ich brauch dich! Ich brauch deine Hilfe!«
    Die Schwester war hereingekommen und zog sie am Arm.
    »Meyer. Wenn du wieder arbeitest …«
    Er hielt das Messer aufrecht und stieß es ihr vors Gesicht.
    Die Klinge war ganz nahe. Lund wurde still. Die Schwester ebenfalls.
    »Was hast du gesagt?«
    »Wenn du wieder arbeitest«, sagte sie leise und sah ihn an, zum ersten Mal richtig. Bemerkte, wie seltsam starr er dasaß. Mit welcher Kraft seine linke Hand das Rad des Rollstuhls umklammerte. Sie sah keine Krücken im Zimmer. Auch sonst keine Anzeichen der Genesung, wie sie es erwartet hätte. Jan Meyer wedelte vor ihrer Nase mit dem Obstmesser, drehte es um, packte den hölzernen Griff fest mit der Faust und stach sich die scharfe Spitze mit voller Wucht gewaltsam durch den blauen Stoff des Hosenbeins in den Oberschenkel. Dabei sah er sie unverwandt aus seinen traurigen Froschaugen an.
    Kein Schmerz. Überhaupt kein Gefühl. Das wurde ihr jetzt klar, und sie fragte sich, warum sie nicht diese einfache, selbstverständliche Frage gestellt hatte, als sie hereinkam.
    Wie geht’s dir?
    Nicht, dass es sie nicht interessiert hätte. Es hatte nur dringendere Fragen gegeben. Das war alles.
    »Geh jetzt endlich«, bat Meyer. »Lass mich um Himmels willen in Ruhe.«
    Ein Arzt und ein Pfleger waren hereingekommen. Der eine zog sie zur Tür, der andere war im nächsten Moment bei Meyer und zog das Messer aus seinem Oberschenkel. Dunkles Blut verfärbte den blauen Stoff. Breitete sich langsam aus. Kein Zeichen von Schmerz auf seinem unrasierten Gesicht. Nicht der geringste Hinweis, dass er etwas spürte. Der Mann hielt Lund an den Armen, war zu stark für sie. Sie wollte etwas sagen. Aber sie konnte nicht.
    Etwas …
    Drei Jahre würde Theis Birk Larsen im Höchstfall kriegen. Da waren sich im Präsidium alle einig. Drei Jahre, nach der Hälfte auf Bewährung entlassen. Also nach achtzehn Monaten wieder auf freiem Fuß. Theis und Pernille würden es überleben, vielleicht auf eine seltsame, grausame Weise sogar stärker sein als zuvor. Draußen verdunkelte sich der Himmel. Regen im Anzug. Vielleicht sogar Schnee.
    Vibeke hatte ihren grünen VW Käfer zurückverlangt. Also ging Lund zu Fuß zum
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