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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort
Autoren: Ulla Hahn
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zugekniffen, zappelte. Lieber Jott, mach misch fromm, dat isch in dä Himmel komm, schrie ich, wollte weg, dahin, wo Herr Tröster war, wohin mir keiner folgen konnte, lieber Gott, mach mich tot!
    Ooje op, schrie der Vater und schüttelte mein Genick.
    ... dat isch in dä Himmel komm, schrie ich. Schrie, bis mir die Luft wegblieb und die Stimmen der Erwachsenen aus meinen Ohren glitten. Ich hörte sie von ferne wie durch Meeresrauschen, Muschelrauschen. Do häs de et, do häs de et, dat kütt dovon, das war die Großmutter. Loß dat Kenk los, du breschs däm dat Jeneck, die Stimme der Mutter.
    Hal de Muul, fuhr der Vater die Mutter an. Esch hal dat Blaach su lang fass, bes et de Ooje opmät. [4] Dat wolle mer doch ens sinn.
    Die Stimmen wogten heran und hinweg, lieber Gott, mach mich fromm, mach mich tot, Himmel komm, Himmel komm. Tot. Die Wörter waren in mir, ich war die Wörter, die Wörterwaren in meinem Kopf, ich war mein Kopf, sollten die da draußen mit meinem Körper machen, was sie wollten, ich war in Sicherheit, im Kopf, im Wort. Die Wörter waren mächtiger als der, der mich jetzt am Genick hochhob wie ein Karnickel, der mir den Rock hochhob und seine Hand auf meinen Hintern klatschte.
    Du mäs jitz ding Ooje op, du mäs jitz ding Ooje op.
    ... dat isch in dä Himmel komm.
    Josäff, loß dat Kenk loss. Dat Jebrüll hürt mer jo bes op de Stroß. Wat sulle de Lück [5] denke!
    Die Mutter hielt meinen Körper bei den Füßen, der Vater im Genick. Mach mich tot, mach mich tot. Himmel komm.
    Jitz is et ävver jenuch, das war die Großmutter, sös krit et dä Pastur ze hüre. Himmel komm, Himmel komm.
    Scham desch, das war der Großvater, ein schabendes Geräusch von Glas auf Metall.
    Die Hand ließ mich los.
    Im Bett kam ich wieder zu mir.
    Kenk, Kenk, wo bes du? Die Mutter rüttelte mich an den Schultern.
    Mach de Ooje op.
    Ich schlug die Augen auf. Im Schein der trüben Birne hing das Gesicht der Mutter über mir, die grünen Augen stumpf vor Ärger und Angst, ein schmutzig-rosa Haarnetz hielt die Dauerwelle für den nächsten Tag zusammen.
    Schlof Kenk, bäde [6] dun mer morje widder.
    Lommer jonn, sagte der Großvater am nächsten Morgen zu mir allein.
    Eine frostige Sonne klammerte sich an einen nebelverhangenen Himmel und warf ihr trügerisches und trauriges Licht über die Felder, auf denen noch der Rosenkohl stand, über die nassen Wiesen, die schütteren Weiden, die ihr Laub oftmals hielten bis weit in den Februar hinein. Wir sprachen nicht viel. Nicht einmal die weiß dampfenden Linien des Atems beim Sprechen, Luftschreiben nannten wir das, munterten mich auf.
    Es war ein windstiller Tag, der Rhein ein Band aus Stahl, bewegungslos bis auf die verebbenden Wellen eines fernen Kahns.
    Dat he, sagte der Großvater und bückte sich, es ene Wootsteen. Ein Wutstein. Schön sin se nit. Avver nötzlisch. So lange anschauen müsse man solch einen Stein, sagte der Großvater, bis das Gesicht desjenigen erscheine, auf den man eine Mordswut habe. Un dann, der Großvater holte weit aus, schmiiß mer dä Steen met däm Kopp en dä Rhing [7] . Dat det jut. Probier ens. Söök dir ene Steen.
    Nur sekundenlang hielt ich den Stein, ein Stück schwarzer, poröser Schlacke, in der Hand. Dann verschwand der Kopf des Vaters im Rhein. Unsicher sah ich den Großvater an. Der nickte verschwörerisch und paffte seinen Krüllschnitt. Doch als ich einen zweiten Stein auflesen wollte, schüttelte er den Kopf. Nur einen auf einmal dürfe man versenken, genau überlegen müsse man seine Wahl und seine Wut, sonst verliere der Stein die Kraft. Nur einen. Ich nickte. Faßte den Großvater bei der Hand. Immer wenn der Bruder und ich gerufen hatten Düsseldörp!, hatte der Großvater also einen Wutstein von sich geschleudert. Immer nur einen.
    Kaum zu Hause, erzählte ich alles Frau Peps. Frau Peps war meine Vertraute. Schwarz, matt, graugeschabt an den Kanten, ausrangiert von der Frau Bürgermeister, hatte sie die Großmutter noch einige Jahre in die Kirche begleitet, dann war der Schnappverschluß ausgeleiert, die Tasche nicht mehr zu gebrauchen. Da gehörte die Tasche mir. Frau Peps gehörte mir. Frau Peps war meine Freundin. Mit Birgit, Hannelore, Heidemarie konnte ich spielen; sprechen tat ich mit Frau Peps. Keiner hörte mir so geduldig zu wie sie, keiner vermochte mich zu trösten, zu besänftigen, aufzumuntern wie sie.
    Frau Peps war so groß wie die Mutter und ließ ihr braunes Haar, das die Mutter kurz geschnitten trug, offen
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