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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort
Autoren: Ulla Hahn
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kriegen können, Mutter und Großmutter mit immer neuen Gegenständen an die Beine zu stippen und zu fragen: Die och? Sogar aufs Töpfchen kriegte man mich im Handumdrehen, als man mir versicherte, dat Pöttsche kütt vom leeve Jott, dä mät dat och so*. Als ich begriffen hatte, was allmächtig hieß, hatte ich für kurze Zeit einen Verbündeten in ihm zu finden geglaubt. Aber er war wohl allmächtig immer da, wo ich gerade nicht war. In der Altstraße jedenfalls hatten Vater, Mutter und Großmutter den längeren Arm.
    Ja, sagte der Großvater, dä och. Ävver nit nur dä alleen. All die Hellije und die Engeische han** em jeholpe. För Kenger"* han de Schutzengeische jeschrievve.
    Das beruhigte mich. Un wat steht do, Opa? drängte ich weiter.
    Dat kannst du och ald**** läse. Du muß nur jenau Iure.
    Ich drehte den Stein nach allen Seiten und schüttelte enttäuscht den Kopf
    Na jut, der Großvater ließ sein Taschentuch knallen, setzte sich wieder und ruckte die Brille zurecht.
    Bertram, rüttelte ich den Bruder, et jibt ne Jeschischte. Ihn schlafen zu lassen, hätte er mir nie verziehen.
    Hier, der Großvater sah den Stein eine Weile an, steht die Jeschischte vom Pückelsche. Von einem kleinen Jungen, der einen Buckel hatte, aus dem sich, wann immer es not tat, Flügel entfalteten.
    Jib mir dä Stein, Opa, sagte ich und wies den Bruder, der auch seine Hände ausstreckte, zurecht, du bes doch noch vell ze kleen. Du kannst doch noch ja nit läse. Loß mir dä Boochsteen. Hück owend***** läs esch dir die Jeschischte vom Pückelsche vor.
    * das Töpfchen kommt vom lieben Gott, der macht das auch so
    ** haben
    *** Kinder
    **** schon
    *****heute abend
    Unsere Suche nach Buchsteinen wurde unermüdlich, fanatisch. Ich hielt mir die Steine so lange vor Augen, bis sie heraufstiegen aus den steinernen Zeichen, die schönen Frauen und Männer, Kinder und Tiere, Feld und Wald, Dörfer und Städte, Gutes und Böses, alles, was ich mir vorstellen konnte. Bisweilen wollte der Bruder wissen, ob auch etwas von unserer Pussi in den Steinen stünde oder vom Schneemann vor der Tür. Dann prüfte ich die Zeichen gewissenhaft, und es kam vor, daß sie wirklich ein paar Sätze über unsere Katze enthielten oder über den Schneemann, der, stand da geschrieben, sehr bald in der Sonne schmelzen würde. Der Bruder heulte. Ich blieb hart. Ich hatte es gelesen.
    Spätestens wenn sich die Sonne ins Wasser schlich, machten wir uns auf den Heimweg, bliesen noch einmal unsere Schilfrohrflöten; aber das Fest war vorbei. Auf dem Damm ließ der Großvater seine Mundharmonika endgültig verschwinden. Unsere Pfeifen würde die Großmutter in den Ofen stecken. Wir zerbrachen sie überm Knie und warfen sie weg, in die Wiesen. Die Macht des Großvaters endete am Gartentor.
    Im Anfang erschuf Gott Hölle, Teufel und Kinder, und er sah, daß es schlecht war. Meine Großmutter auch. Kinder kamen schlecht auf die Welt. Erwachsen werden hieß besser werden. Dafür sorgten die Erwachsenen, die alles besser wußten, besser konnten, besser machten, eben weil sie erwachsen waren. Kind sein hieß schuldig sein. Sündig sein. Der Reue, Buße, Strafe bedürftig, in Ausnahmefällen der Gnade. Gebote und Verbote kamen direkt von Gott. Gott aber war der, vor dem alle in die Knie gingen. Letzten Endes waren es also nicht die Erwachsenen, die alles besser wußten, sondern der liebe Gott, der durch ihren Mund sprach. Du bist däm Düvel us dä Kiep jesprunge [1] , schrie die Großmutter und warf nach mir, was sie gerade in der Hand hatte, einen nassen Lappen, eine Kartoffel. Da half nur noch beten.
    Sobald ich Mama sagen konnte, Wauwau, Bäbä und Hamham, brachte die Großmutter mir das Beten bei. Mit Geduld undZucker. Marmeladenbrötchen. >Lieber Jott, mach misch fromm, dat isch in dä Himmel komm .< Ich liebte diesen Vers, plapperte ihn bei allen Gelegenheiten vor mich hin, die Großmutter hielt mich für auserwählt. Der schöne Überfluß des Reims, der melodische Rhythmus, zu dem die Großmutter ihren Kopf mit den roten Apfelbäckchen und dem Dutt im Nacken auf und ab bewegte, das alles war allein zur Ehre Gottes da, so wie die Blumen im Garten. Die kamen vom lieben Gott, und der Vater hatte ihm beim Pflanzen geholfen. Die Gebete machten die Menschen, doch auch dabei unterstützte sie der liebe Gott.
    Gebete waren anstrengender als Blumen, die man einfach abreißen und in die Haare stecken konnte. Gebete mußte man lernen. Dann aber waren sie da. Immer da. Sie
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