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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort
Autoren: Ulla Hahn
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lachte gern und ließ dann seine makellosen Zähne unterm Schnurrbart blitzen. Den giftigen Blicken und dem fast lautlosen >Tach< der
    Großmutter begegnete er stets mit einem pfiffigen >Moijn, Moijn, Frau Kringlk Er züchtete Tauben, und hinter dem Rücken der Großmutter hatte der Vater ihm erlaubt, seinen Schlag dicht neben unserem Gartenzaun zu bauen, wodurch zwischen den beiden Männern eine Verbundenheit erwuchs, die ihnen, Eingeheiratete beide, in ihren Familien und in der Straße einen besseren Stand verschaffte.
    Do jow et Kooche [9] , su vell mer wollte, erzählte ich Frau Peps, un mer kunnte och noch jet met hem nämme. Un dat Birjit hatte ne Kooche mit Kääze, die hät es usjebloose. Avver esch darf kene Jebootsdaach fiere. Ken Kääze usbloose. Keine Kerzen ausblasen. Avver aanmache en dä Kersch, dat darf esch.
    Es war dunkel geworden und kühl. Über der Pappel in Piepers Garten hing ein Stück Mond. Immer noch Kartoffelstauden hinter sich herziehend, trippelte der Bruder dem Vater zwischen die Füße, der, die Harke an die Schuppenwand gelehnt, zufrieden den Stoß aus dürren Zweigen und verblühtem Phlox, Bohnen-, Gurken- und Kartoffellaub betrachtete. Aus einem Kanister goß er einen kurzen, kräftigen Strahl an den Rand und warf ein Streichholz dazu. Der Haufen loderte auf, der Bruder quietschte, Mutter und Großmutter liefen aus dem Haus, der Großvater folgte ihnen. Auch er hatte in diesem Jahr schon Laub verbrannt; aber einen Kanister hatte er dafür nicht gebraucht. Er hole, hatte er gesagt, das Feuer von den Sternen. Und als die Funken stoben, hatten wir mit eigenen Augen gesehen, daß sie wieder zurückwollten in den Himmel, nach Hause. Dem Feuer aus dem Kanister traute ich nicht. Aufgeschreckt von Feuerlärm und Feuerglanz, blieb ich beim Haselnußstrauch stehen und umklammerte Frau Peps.
    Drömdöppe*, schrie die Großmutter und riß mich an den lodernden Haufen. Hie jiddet jet ze Iure! Mach de Ooje op.
    Aber ich wollte das warme Wohnzimmer von Frau Peps, meinen Platz auf ihrem weichen Sofa durchaus nicht verlassen, wollte nicht in die Dunkelheit, das grelle Licht, den Qualm hinaus. Ich trat nach den Beinen der Großmutter und rammte ihr Frau Peps mit der Schnalle gegen die Knie.
    Düvelskenk, schrie die Großmutter. Der Vater riß mir die Tasche von der Brust und warf sie ins Feuer. Ich brüllte. Die Großmutter hielt mich umklammert.
    Jut, dat die doll Täsch weg es, sagte die Mutter und rüttelte mich. Haal de Muul, wat solle de Lück denke.
    Aber der Großvater hatte schon die Harke ergriffen und Frau Peps, funkenstiebend bereits auf dem Weg in den Himmel zu Herrn Tröster, aus dem Feuer herausgeschleudert. Flüchtig wischte er den Ruß an den Hosenbeinen ab, die Stimme der Großmutter kippte vor Wut. Mit einem Lappen aus dem Schuppen machte der Großvater Frau Peps gründlich sauber, und dann schenkte er mir noch sein großes grün-grau kariertes Taschentuch, damit ich Frau Peps polieren konnte, wie neu. Wann immer ich nun Frau Peps besuchte, breitete ich das Tuch über ihren Tisch.
    Heute erzählte ich Frau Peps vom Wutstein. Auch für sie, trug sie mir auf, solle ich einen werfen. Der Mordversuch müsse gerächt werden. Lange Zeit warf ich zwei Steine. Das Gesicht des Mannes war immer dasselbe. Das Gesicht der Frau war einmal jung, einmal alt. Eines der drei Gesichter erschien in jedem Stein.
    Links vom Krankenhaus stand das Leichenhäuschen, rechts der Kindergarten. Mit Frau Peps ging ich hierher nie. Der Flur war mit losem, wellig gewordenem Linoleum ausgelegt, eine Treppe führte ins Obergeschoß, eine Tür in das große Zimmer, das Herz des Kindergartens. Im Flur roch es nach Bohnerwachs, im großen Zimmer wie das Innere eines Glases voll Lakritze. Anianas Reich. Aniana duftete nach Weihrauch, Kerzen und einem Desinfektionsmittel, mit dem die kleinen Klos im Waschraum hinter den Holzverschlägen saubergemacht wurden. Eine weiße, steife Haube bedeckte die Stirn bis zur Nasenwurzel. Ihr Gesicht sah aus wie eine Apfelhälfte. Die Augen schauten glänzend und hell, waren in ständiger Bewegung; nur beim Beten und Erzählen hielten sie inne und blickten in die Ferne, in eine andere Welt. Im Gehen hielt sie, wie die anderen Schwestern auch, ihre Hände in den weiten Ärmeln der Kutte verborgen; wie Zauberer konnten sie alles mögliche aus diesen Ärmeln hervorziehen. Gebet-bücher, Buntstifte, Brillen, Taschentücher, Äpfel und Nüsse, den Rosenkranz. Anianas Mund war zu dünn, um
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