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Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm
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verloren gegangen«, sagte ich mit völlig ernster Miene.
     
    Die Ärztin führte mich durch einen langen weißen Korridor, dessen Fußboden die Spuren vieler gummibereifter Rollbahren trugen. Sie legte ein ziemliches Tempo vor, und ich musste mich anstrengen, um Schritt zu halten. Immerhin trug ich nicht mehr als ein schlichtes graues Handtuch am Leib und war immer noch klitschnass vom Gel. Sie bemühte sich um ein entspanntes Arzt-Patient-Verhältnis, obwohl ihre Art etwas Gehetztes hatte. Sie hatte sich ein Bündel Unterlagen in Form sich wellender Ausdrucke unter den Arm geklemmt und schien noch weitere Termine zu haben. Ich fragte mich, wie viele Sleevings sie täglich zu betreuen hatte.
    »Sie sollten sich in den nächsten ein oder zwei Tagen möglichst viel Ruhe gönnen«, sagte sie auf. »Wenn Sie stellenweise leichte Schmerzen verspüren, ist das kein Grund zur Beunruhigung. Durch viel Schlaf lösen sich diese Probleme von ganz allein. Falls Sie dauerhafte Beschwerden…«
    »Ich weiß. Ich bin nicht zum ersten Mal in einer solchen Situation.«
    Dieses Gespräch machte auf mich kaum den Eindruck einer zwischenmenschlichen Interaktion. Ich hatte mich gerade an Sarah erinnert.
    Wir blieben vor einer Tür stehen, auf dessen Milchglasscheibe das Wort Dusche gedruckt war. Die Ärztin dirigierte mich hinein und sah mich einen Moment lang an.
    »Es ist auch nicht das erste Mal, dass ich eine Dusche benutze«, versicherte ich ihr.
    Sie nickte. »Wenn Sie fertig sind, nehmen Sie den Aufzug am Ende dieses Korridors. Ein Stockwerk höher werden die Entlassungsformalitäten geregelt. Vorher würde sich die… äh… die Polizei gerne mit Ihnen unterhalten.«
    In den Vorschriften hieß es, dass man es unterlassen sollte, frisch gesleevte Individuen stärkeren nervlichen Belastungen auszusetzen. Vermutlich hatte sie meine Akten gelesen und betrachtete es angesichts meines Lebensstils nicht als außergewöhnliches Ereignis, mit der Polizei zu tun zu haben. Ich versuchte es genauso zu sehen.
    »Worüber?«
    »Man zog es vor, mich darüber nicht in Kenntnis zu setzen.« Ihre Worte verrieten, dass sie deswegen leicht verärgert war – eine Regung, die sie mir eigentlich nicht hätte offenbaren dürfen. »Vielleicht ist Ihnen Ihr Ruf vorausgeeilt.«
    »Vielleicht.« Ich folgte einem spontanen Drang und verzog mein neues Gesicht zu einem Lächeln. »Doktor, ich bin noch nie hier gewesen. Auf der Erde, meine ich. Ich hatte noch nie mit Ihrer Polizei zu tun. Sollte ich mir deswegen Sorgen machen?«
    Als sie mich ansah, erkannte ich die aufwallenden Gefühle in ihren Augen, die Mischung aus Furcht, Erstaunen und Verachtung, wie sie typisch für jemanden war, der die Menschen verbessern wollte und damit gescheitert war.
    »Wenn es um einen Mann wie Sie geht«, brachte sie schließlich heraus, »hätte ich gedacht, dass es die Polizei ist, die sich Sorgen machen sollte.«
    »Stimmt«, sagte ich leise.
    Sie zögerte kurz, dann zeigte sie nach hinten. »Im Ankleideraum gibt es einen Spiegel«, sagte sie und ging. Ich drehte mich um und warf einen Blick in die Richtung, aber ich war mir noch nicht sicher, ob ich schon für den Spiegel bereit war.
    Unter der Dusche vertrieb ich meine Unruhe durch unmelodisches Pfeifen, während ich meinen neuen Körper mit Händen und Seife säuberte. Mein Sleeve war Anfang vierzig, Protektoratsstandard, mit der Figur eines Schwimmers, und das Nervensystem schien auf militärische Anforderungen zugeschnitten zu sein. Wahrscheinlich durch ein neurachemisches Upgrade. Dem hatte ich mich selber schon einmal unterzogen. Die Lungen wiesen eine gewisse Kurzatmigkeit auf, die auf Nikotinabhängigkeit hindeutete, und der Unterarm wurde von prächtigen Narben geziert. Doch davon abgesehen stellte ich nichts fest, worüber ich mich hätte beschweren können. Die kleineren Mängel und Schwächen fielen einem erst im Laufe der Zeit auf, und wenn man klug war, lernte man einfach damit zu leben. Jeder Sleeve hatte eine Geschichte. Wer sich daran störte, sollte sich in die Schlangen vor Syntheta oder Fabrikon einreihen. Ich hatte schon mehrere synthetische Sleeves getragen. Sie wurden häufig bei Bewährungsverhandlungen benutzt. Sie waren billig, aber man hatte meistens den Eindruck, allein in einem zugigen Haus zu leben, und anscheinend schafften sie es nie, die Schaltkreise für die Geschmacksnerven richtig zu verdrahten. Alles, was man aß, schmeckte letztlich wie gewürzte Sägespäne.
    In der Umkleidekabine
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