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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
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in der kleinen
weißbehandschuhten Hand:
    „Schau her.
Mit diesen Tasten kannst du Datum und Uhrzeit eingeben. Ab dieser Zeit erlebst
du alles noch einmal, haargenau, wie du es schon einmal erlebt hast – bis
Mitternacht, keine Sekunde länger.“
    „Und anders
herum, ich meine: vorwärts?“
    „Da gibt es
keine Begrenzung, aber eine Stopp-Taste.“
    „Ich kann also
jederzeit zurück in mein richtiges Leben?“
    „Natürlich.
Solange du lebst und solange du die Box nicht verloren hast.“
    „Ich wusste
doch, dass die Sache einen Haken hat.“
    Den Blick in
die Zukunft kann ich mir schon mal schenken. Mal angenommen, ich möchte wissen,
wie es am 10. Mai 2040 aussieht, ohne zu ahnen, dass ich da schon gestorben
bin. Ich könnte die Stopp-Taste gar nicht mehr drücken und bliebe … Ich
schüttele mich. Nein, danke.
    „Was ist nun
mit der Vergangenheit? Wenn mir der ausgewählte Tag dann doch nicht gefällt?
Schließlich ändert sich der Geschmack mit den Jahren … Kann ich da die
Stopp-Taste drücken?“
    „Das geht
natürlich nicht. Da musst du durch. Bis Mitternacht, keine Sekunde früher.
Stopp ist für mich das Signal: Hol den Kasten wieder ab. Also wie ist es?
Möchtest du´s probieren oder nicht?“
    „Aber ja doch.
Her damit. Ich kann es gar nicht erwarten, mir die schönsten Stunden meines
Lebens zurückzuholen.“
    Mit diesen
Worten reiße ich der Fee das Kästchen förmlich aus der Hand. Im selben
Augenblick ist die Fee verschwunden.
    Ich zögere:
Welches Datum soll ich eingeben? Tagebuch habe ich nie geführt. Meine Briefe,
die ich von Verflossenen zurückforderte, habe ich immer gleich vernichtet.
Computer mit Datenspeichern gab es vor dreißig, vierzig Jahren auch noch nicht.
Folglich bleiben nur die festen Daten wie Geburtstage, Weihnachten, Silvester,
Standesamt. Ich weiß ja nicht mal mehr genau, wann ich wo Urlaub gemacht habe.
    Ich wage es:
Ich gebe das Datum meines 25. Geburtstages ein. Und ich bin vorsichtig: 23 Uhr.
Für den Fall, dass es doch kein so schöner Tag war. Was immer ist: Eine Stunde
werde ich überstehen.
    In einer
unaufgeräumten Studentenbude liegt meine Freundin auf dem Sofa. Sie hat dem
Wodka zu sehr zugesprochen und ist nicht mehr wach zu kriegen. Also muss ich
das Chaos nach der Geburtstagsfeier allein beseitigen, obwohl ich selbst
ziemlich schwanke. Ich ärgere mich über mich selbst, weil ich mich mit meinem
besten Freund gestritten habe. Ich war eifersüchtig, weil er sich zu intensiv
meiner Freundin widmete. Meine Freundin wiederum war sauer auf mich und meine
„grundlose bösartige“ Eifersucht. Jetzt wird sie wieder drei Tage lang nicht
mit mir sprechen. Die Bude ist halbwegs aufgeräumt. Ich lege mich im Schlafsack
auf dem Fußboden schlafen, denn ich wage es nicht, meine Freundin zu wecken und
sie zu bitten, die Schlafcouch auseinanderzuklappen. Sie würde mir die Augen
auskratzen.
    Ich unternehme
einen zweiten Versuch. War der 8. August vor 20 Jahren schöner? Ich tippe
ein: 17.00 Uhr.
    Ich stehe mit
meiner Frau und unserem dreijährigen Sohn an einer öden griechischen Landstraße.
Der Himmel hat sich verdüstert. Ein Grollen ist zu hören. Wir haben den Bus vom
Strand ins Hotel verpasst. Der nächste kommt erst in einer Stunde – oder – wie
schon mehrmals passiert - auch gar nicht. Meine Frau macht mir Vorwürfe: weil du
immer nur anderen Frauen hinterher gaffst und nie auf die Zeit achtest. Florian
plärrt. Er hat Hunger und einen leichten Sonnenbrand, an dem natürlich auch ich
die Schuld trage, weil ich Florian nicht zugedeckt habe, als er schlief. Es
fängt an zu schütten. Es blitzt und kracht. Binnen Kurzem sind wir völlig
durchnässt in dieser baumlosen Gegend.
    Kein Auto weit
und breit, das uns mitnähme. Der Abend ist gelaufen. Meine Frau spricht kein
Wort mehr mit mir. Ich setze mich allein in den stickigen Speisesaal des
Hotels. Nach dem lauwarmen pampigen Essen krieche ich früh ins Bett. Stumm
liegen meine Frau und ich nebeneinander. Was für ein Urlaubstag.
     
    Ich bin
überzeugt: So wird es weitergehen, wenn ich planlos in der Vergangenheit
herumstochere. Zwar heißt es im Sprichwort, auch ein blindes Huhn finde mal ein
Korn, aber darauf möchte ich es nicht ankommen lassen. Ich drücke die
Stopp-Taste.

Nur ein Reiskorn
     
     
     
    König Bodo war ein weit in die Zukunft
planender Herrscher, der nichts dem Zufall überließ. Obwohl in der Mitte seiner
Jahre und auf der Höhe seiner Macht, beim Volk beliebt und von den
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