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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
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Nachbarn
geachtet, dachte er bereits an die Ordnung seiner Nachfolge, denn er war in
ständiger Sorge, dass sein Lebenswerk nach seinem Tode zunichtewerden könne.
    So rief er
eines Tages seine drei erwachsenen Söhne zu sich und überreichte jedem ein
Reiskorn mit den ernsten Worten: „Achtet dieses Reiskorn nicht gering, hütet es
wie euren Augapfel. Ich möchte euch jetzt nicht verraten, worum es mir geht,
aber es kommt der Tag, an dem ihr es bedauert, wenn ihr nicht befolgt habt, was
ich euch heute ans Herz lege.“
    Kaum waren die
drei Söhne wieder allein, schnippte Rono, der älteste Sohn, das Reiskorn
verächtlich in den Palastgarten und rief: „Ist der Alte nun restlos
übergeschnappt? Ich lasse mich doch nicht von meinem eigenen Vater auf den Arm
nehmen. Verarschen kann ich mich selber.“
    Mono, der
mittlere Sohn, sagte gar nichts. Er tat sein Reiskorn achtlos in die
Jackentasche und vergaß es im selben Augenblick.
    Nur Sono, der
jüngste Sohn, überlegte: „Wenn mein kluger Vater solchen Wert auf die
Reiskörner legt, dann wird er sich wohl etwas dabei gedacht haben. Dann will
auch ich es wertschätzen.“
    Sono legte das
Reiskorn in ein winziges verschließbares, mit Samt ausgelegtes Amulett und
hängte es sich an einer goldenen Kette um den Hals, die er nie ablegte, um das
Reiskorn seines Vaters nicht zu verlieren.
    Viele Jahre
gingen ins Land. Rono und Mono, begierig darauf, die Herrschaft des Reiches
endlich zu übernehmen, glaubten schon kaum mehr daran, den Vater zu überleben.
    Da rief der
König eines Tages seine drei Söhne zu sich und sprach: „Ich fühle meinEnde
nahen, aber ich kann erst in Frieden einschlafen, wenn ich mein Lebenswerk in
würdigen Händen weiß. Zeigt mir das Reiskorn, das ich euch vor vielen Jahren
anvertraut habe!
    Rono und Mono
gerieten in arge Verlegenheit, aber Rono war ja nicht auf den Kopf gefallen.
Ein ordinäres Reiskorn. Reis gab es tonnenweise im Palast.
    „Eine Minute,
lieber Vater, ich hole es sofort“, rief Rono und lief hinaus, um dem
königlichen Oberkoch zu befehlen, ihm schnellstens ein Reiskorn aus der Küche
zu bringen.
    Damit trat er
wieder vor seinen Vater und sprach: „Hier ist es. All die Jahre habe ich es
gehütet wie meinen Augapfel.“
    „Ich kann dir
sagen, was du all die Jahre gehütet hast: deine Faulheit und Begierden. Und zum
Schluss willst du auch noch deinen eigenen Vater betrügen. Das ist nicht das
Reiskorn, das ich dir anvertraute, denn auf dem ist mein Name in winziger
Schrift eingraviert.“
    Mono hatte
sein Reiskorn zwar nicht weggeworfen und die Jacke fand sich auch noch nach
langem Suchen in der königlichen Kleiderkammer, aber das Reiskorn war längst
von Mäusen gefressen.
    „Ich habe es
eigens in meine Lieblingsjacke getan, damit ich es nicht verliere“, druckste
Mono herum, „aber da ist es nicht mehr. Man muss es mir gestohlen haben.“
    „Den Verstand
hat man dir gestohlen. Wer klaut schon ein ordinäres Reiskorn? Du hast nicht
genügend achtgegeben. Du bist nicht würdig, mein Nachfolger zu werden.“
    Umso erfreuter
war der König, als wenigstens sein Jüngster ihm das echte Reiskorn vorweisen
konnte, sicher verwahrt in einem kostbaren Amulett.
    „Du hast in
meinem Sinne gehandelt. Du hast meine Erwartung erfüllt. Du verdienst es, das
Königreich zu übernehmen. Deine Brüder aber sollen einfache Reisbauern werden,
damit sie den Wert eines Reiskorns schätzen lernen. Das ist mein
unabänderlicher königlicher Beschluss. Und nun ruf mir meine Ratgeber, damit
wir das Testament aufsetzen.“

Wolke sieben
     
     
     
    Von der Erde aus kann man sie nicht
erkennen, aber in einer besonderen Luftschicht, weit oberhalb der
Erreichbarkeit von Flugzeugen und Satelliten, tummeln sich unglaublich viele
kleine und große Wolken. Und auf ihnen Liebende und Verliebte aller Grade. Es
war nicht immer so voll da oben. Ursprünglich gab es nur Wolke sieben, doch mit
den wachsenden Ansprüchen, Sehnsüchten und vor allem infolge von immer mehr
Freizeit und vermehrtem Fernseh- und Filmkonsum dauerte es nicht lange, bis
sich eine unschöne Übervölkerung einstellte. Wie kann jemand selig auf Wolke
sieben schweben, wenn sich neben ihm Tausende andere drängen, sich gegenseitig
schubsen, sich beschimpfen und beleidigen. So eine Umgebung ist der
Hochstimmung nicht gerade förderlich.
    Die
Himmelsarchitekten waren gezwungen, sich ein neues Konzept auszudenken und eine
Lösung zu finden, die den himmlischen Frieden wiederherstellte.
    Sie
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