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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
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glaubten
sie in einem Siebenstufenmodell gefunden zu haben, ausgehend von der Erfahrung,
dass Verliebtheit nicht gleich Verliebtheit ist. Und von der Überzeugung
durchdrungen, dass jeder an seiner Liebe arbeiten kann und muss, um die höchste
Stufe der Glückseligkeit zu erlangen. Liebe will verdient sein. Sie soll
niemandem allzu leicht in den Schoß fallen, auf dass er nicht übermütig werde.
Hochmut zählt schließlich zu den sieben Todsünden.
    So richteten
sie also siebenerlei Wolkengondeln ein, mit deutlich sichtbarer
Leuchtschriftnummer von eins bis sieben, und verteilten die Liebenden und
Verliebten nach gründlicher Prüfung auf die sieben Wolkentypen.
    Womit sie
allerdings nicht gerechnet hatten, waren so üble Eigenschaften wie Missgunst,
Neid und Begehrlichkeit. Fast alle Bewohner unterhalb der Wolke sieben fühlten
sich zurückgesetzt, falsch eingeordnet oder in ihrer unsterblichen Liebe
verkannt. Statt aber, wie es der himmlische Plan vorsah, geduldig an ihrer
Liebe zu arbeiten, scheuten die meisten keine Mittel, um möglichst rasch und
ohne Mühe aufzusteigen. Wegen des Gedränges der von Monat zu Monat zunehmenden
Himmelsgondeln blieb es nicht aus, dass die Wolken sich immer wieder so nah
kamen, dass sie sich fast berührten, und diese Nähe nutzten die Unzufriedenen
aus, um von Wolke eins auf Wolke zwei oder von Wolke drei auf Wolke vier usw.
zu springen. Das oft unter Inkaufnahme großer Lebensgefahr. Und tatsächlich
geschah es immer wieder, dass einige Todesmutige vorbeisprangen und ins
Bodenlose stürzten. „Für die Liebe gestorben“, hieß es dann offiziell, denn
auch im Himmel muss der Anschein von Harmonie und funktionierender Ordnung
gewahrt bleiben. Wenn schon so ein großes Risiko, mag man fragen, warum dann
nicht gleich der Sprung auf Wolke sieben? Das ist nicht möglich, weil sich die
Wolken auf sieben verschiedenen Ebenen bewegen. Man müsste schon fliegen
können, um zwei oder drei Stufen zu überspringen.
    Wirklich
glücklich sind infolge dieses erbitterten Konkurrenzkampfes nur diejenigen auf
Wolke sieben. Aber schon wieder muss ich mich korrigieren: waren glücklich, denn seit es Wolke sechs gibt, kommt es immer wieder zu unangenehmen
Zwischenfällen. Bewohner der Wolke sechs versuchen im Vorbeischweben an Wolke
sieben deren Bewohner herunterzuzerren oder herabzustoßen, um Platz für sich
selbst zu schaffen. Und viele sind bei dem Versuch, Wolke sieben zu erreichen,
tödlich verunglückt.
    Eine lange
Zeit haben die Himmelsarchitekten die monatlich einzureichenden Statistiken
beschönigt und Unfälle und Opferzahlen verschwiegen, aber das Getöse und
Geschrei der Unzufriedenen schwoll so sehr an, dass die Planungsmängel nicht
länger zu verheimlichen waren.
    Nun sind die
Architekten bei der Himmelsleitung zum Rapport einbestellt. Da können sie noch
so herumdrucksen. Sie müssen bekennen, dass ihr Siebenstufenmodell auf der
ganzen Linie gescheitert ist. Ein neues Modell muss her.
    Oder doch
nicht? Zu viel Wissen war noch nie gut für das schwache Menschengeschlecht. Und
so schlug der Leiter der Planungsgruppe vor, den Abstand der Wolken zueinander
so weit zu vergrößern, dass die Wolken der anderen sechs Kategorien außer
Sichtweite wären. Außerdem die Leuchtschriftnummern wieder zu entfernen. Und
vor allem alle Menschen im Glauben zu belassen, sie befänden sich auf Wolke
sieben. Denn mit einem zweiten, dritten oder gar letzten Platz gibt sich kein
Mensch zufrieden. Auch nicht oder erst recht nicht in der Liebe.
    Nur ein
Problem konnte auf der Sitzung nicht gelöst werden: Was, wenn der himmlische
Plan an die Menschen verraten würde? Denn auch Himmelsarchitekten, das hat die
Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, sind bestechlich. Dafür, dem obersten
Boss ein Stückchen näher zu rücken, sind ihnen alle Mittel recht.
    Das alles
wissen die Bewohner von Wolke sieben zum Glück nicht. Wenn sie es wüssten,
würden sie augenblicklich auf ihre luftige Sonderstellung verzichten und lieber
wieder auf die Erde zurückkehren.

Lotusleben
     
     
     
    Eltern und Tanten waren sehr besorgt
über die unheilvolle Entwicklung, die Fiola, die jüngste Lotusblume nahm. Sie
wollte sich immer weniger fügen, tat, was sie wollte, gebrauchte wüste
Schimpfwörter, widersetzte sich, war durch nichts zu bändigen. Was für ein
hoffnungsloser Wildwuchs. Völlig aus der Art geschlagen, aber dabei schöner als
alle ihre Geschwister, eine Erkenntnis, die nicht wenig dazu beitrug,
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