Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
Vom Netzwerk:
die Schwachköpfe lösen müssen.“
     „Beeil dich
aber, Tochter“, sagte der Großkhan, „die ersten Prinzen sind schon
eingetroffen.“
    Lustige Wolke
zog sich in ihre Gemächer zurück und zerbrach sich das schöne Köpfchen, eine
ungewohnt anstrengende Arbeit, aber schließlich hatte sie doch eine Idee, wie
sie den Richtigen herausfinden wollte. Auf zwei Zettelchen schrieb sie:
     
    Mitten ins
Herz habt Ihr getroffen,
    Ihr braucht
nicht weiter ungewiss zu hoffen.
    Nun weiß ich,
dass Ihr meiner würdig seid.
    Ich bin zur
Ehe jetzt mit Euch bereit.
     
    Zwei Zettel mit je zwei Zeilen wollte
sie in die beiden mittleren Schubladen des Schränkchens legen. Mit dem Prinzen,
der die richtigen Schubladen zöge, würde sie die Ehe eingehen. Ihr Vater, dem
sie den Plan vorstellte, wandte nur ein: „Und wenn nun mehrere Freier die
richtigen Schubkästen wählen?“
    „Dann heirate
ich eben mehrere. Die Vielehe ist in unserem Reich zwar etwas aus der Mode
gekommen, aber immer noch gesetzlich erlaubt.“
    Dazu kam es
aber nicht. Die meisten Prinzen, nicht gerade mit Intelligenz geschlagen, zogen
zwei beliebige Schubladen, die jeweils leer waren.
    „So viel
Dummheit muss bestraft werden“, pflegte Lustige Wolke zu sagen und schickte die
Versager in die Wüste – drei unters Fallbeil, fünf an den Galgen, sieben ließ
sie lebendig begraben und zwei grausam pfählen. Sie fand das lustig und ließ es
sich nicht nehmen, den Hinrichtungen persönlich beizuwohnen. Die letzten drei
Prinzen gingen mit mehr System an die Sache heran.
    Prinz Chung
Yang sprach: „Prinzessin, mein erster und letzter Gedanke beim Aufwachen und
Einschlafen gilt euch. Deshalb wähle ich die erste und die letzte Schublade.“
    „So groß ist
Eure Liebe zu mir, dass Ihr noch ruhig schlafen könnt? Die Schubladen sind leer
wie Euer Kopf. Ab in die Wüste.“
    Prinz Yang
Chin vertraute seinem guten Stern und wählte sein eigenes Geburtstagdatum:
„Öffnet die siebente und die zehnte Schublade.“
     
    In der
siebenten fand sich der Zettel mit den Zeilen:
     
    Mitten ins
Herz habt ihr getroffen.
    Ihr braucht
nicht weiter ungewiss zu hoffen.
     
    Prinz Yang Chin wollte schon einen
Freudenschrei ausstoßen, da fauchte Lustige Wolke: „Und wo ist der zweite
Zettel? Führt den Nichtsnutz der gerechten Strafe zu: Werft ihn in die
Löwengrube.“
    Nun blieb nur
noch Prinz Ling Wang: „Eure Schönheit, Prinzessin, hat mich mitten ins Herz
getroffen. Deshalb können die Zettel auch nur im Herzen des Schränkchens, in
den beiden mittleren Schubkästchen, sein.“
    Und so war es.
    Dem Großkhan
fiel ein schwerer Stein vom Herzen. Leider etwas zu früh. Zwar wurde die Ehe
zwischen Lustiger Wolke und Ling Wang geschlossen, aber fortan war es mit den
schönen Zeiten für Lustige Wolke und ihre Familie vorbei. Ling Wang entmachtete
den Großkhan unmittelbar nach der Eheschließung und tyrannisierte seine Frau,
die königliche Familie und das Volk der Obruken. Mit jedem der neunzehn anderen
Freier wäre Lustige Wolke vermutlich glücklicher geworden.

Zurückgespult
     
     
     
    Den plötzlichen Einfall habe ich kaum
zu Ende gedacht, da spüre ich eine leichte Luftbewegung an meinem rechten Ohr,
höre ein sanftes Schwirren – vor mir auf dem Schreibtisch landet eine hutzelige
Gestalt, nur etwa 40 cm hoch, zwar keine Fee, wie ich sie aus den
Märchenbüchern kenne, und alles andere als jung und schön, aber doch
unverkennbar eine Fee, denn sie ist bekleidet mit einem weiten Umhang, trägt
einen Spitzhut auf dem Kopf, hat einen Zauberstab in der Hand und ist
eingehüllt in eine funkelnde Wolke aus Sternenstaub.
    „Also dein
Leben vor- und zurückspulen können möchtest du? Wie bei einem Tonband. Ein
seltener Wunsch. Und kein vernünftiger. Aber weil du bisher eher bescheiden
warst, will ich ihn dir dennoch erfüllen. Wenn du die Bedingungen akzeptierst.“
    Ich stellte
mir gerade vor, wie ich mir nach und nach die schönsten Stunden meines Lebens
zurückhole: Erfolge bei Frauen, Siege im Büro, Verliebtheiten, Reisen,
Liebesnächte, Festtage, Geschenke-Orgien.
    „Und deine
Bedingungen?“, frage ich etwas ernüchtert. „Soll ich etwa meine Seele
verkaufen?“
    „Nein, nein,
du hast es hier nicht mit dem Teufel zu tun. Ich möchte dich nur warnen, damit
du hinterher nicht enttäuscht bist.“
    „Ich warte.“
    Die Fee
schwingt einige Mal ihren Zauberstab durch die Luft, und schon hält sie ein
kleines Kästchen, kaum größer als eine Zigarettenschachtel,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher