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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
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bereit. Geschossen wird
nicht. Wir arbeiten lautlos. Ich bin der Leiter, ich bestimme, welches Objekt
wir der Forschung zur Verfügung stellen, ist das klar?“

Die Gangsterbraut
     
     
     
    „Ich kann dich nicht länger
durchfüttern. Mit meiner kleinen Rente komme ich kaum allein über die Runden.
Nun bist du schon beinahe 24 und immer noch ledig und ohne Job. Das geht so
nicht weiter.“
    „Und was soll
ich machen?“, fragte Vanja verängstigt. Sie ahnte, worauf ihr Vater
hinauswollte.
    „Was schon?
Welche Möglichkeiten hast du denn schon mit deinen paar Schuljahren und deiner
abgebrochenen Tischlerlehre? Das einzige Kapital, das du besitzt, ist dein
Aussehen. Viele Männer würden sich die Finger nach dir lecken, du musst sie
ihnen nur entgegenstrecken.“
    „Wie ich dich
kenne, hast du auch schon einen besonders hübschen jungen Mann für mich
ausgeguckt, mit dem du mich möglichst schnell verkuppeln möchtest, oder?“
    Vassili
zögerte mit der Antwort, räusperte sich und grunzte: „Nun, so ganz jung ist er
nicht mehr, eher im reiferen Alter, aber fit genug, um eine Frau
zufriedenzustellen, da sei ganz unbesorgt. Und er ist reich, sehr reich sogar.
Wenn er dich heiratet, was leider noch nicht ganz sicher ist, wären wir alle
Sorgen ein für alle Mal los.“
    „Dir geht es
ja nur ums Geld. Ob ich glücklich werde, ist dir doch vollkommen egal.“
    „Eine andere
Wahl hast du nicht. Entweder du fährst noch heute zu ihm, um dich ihm
vorzustellen, oder du packst deinen Koffer. Entscheide dich, aber rasch.“
    „Was bleibt
mir anderes übrig? Angucken kann ich ihn mir ja mal. Wo wohnt er überhaupt? Wie
komme ich zu ihm? Und du kommst doch sicherlich mit, oder?“
    „Ivan
Gregorovitsch ist ein überaus großzügiger Mann. Und ein Mann von Ehre. Er lässt
dich um 18.00 Uhr abholen und dich selbstverständlich auch wieder zurückbringen.
Du hast also noch reichlich Zeit, dich hübsch zu machen. Noch hübscher, als du
schon bist. Gib dir Mühe. Dein Lebensglück hängt davon ab. Ich kann dich nicht
begleiten, denn ich bin nicht mit eingeladen worden. Wie sähe es denn aus, wenn
ich trotzdem mitfahre.“
    Punkt 18.00 Uhr,
die Dunkelheit war schon hereingebrochen, hielt ein Auto der Luxusklasse vor
dem Plattenbau, in dem Vanja mit ihrem Vater eine Zweizimmerwohnung im fünften
Stockwerk bewohnte. Vanja eilte die vielen Stufen hinunter, denn einen
Fahrstuhl gab es nicht in den Wohnsilos aus den 50er Jahren.
    Ein bulliger
Mann stand seitlich am wartenden Auto. Er riss die hintere Tür auf und ließ
Vanja einsteigen. „Wir sind spät dran. Der Boss wartet nicht gerne“, knurrte
er, ging um den Wagen herum und setzte sich ans Steuer. Vanjas Augen mussten
sich erst an die Dunkelheit im Inneren gewöhnen. Neben dem Fahrer saß ein
zweiter Mann. Er schwieg, als Vanja einstieg, und er sagte auch während der
ganzen Fahrt kein einziges Wort. Verstanden hätte Vanja ohnehin nichts, wenn
sich die beiden Männer auf den Vordersitzen unterhalten hätten, weil der
bullige Fahrer gleich eine CD mit martialischer Musik eingelegt und so laut
eingestellt hatte, dass die Seitenwände des Autos vibrierten. „Als ob wir in
die Schlacht ziehen“, dachte Vanja bitter. „Hoffentlich ist es nicht zu weit
bis zu meinem zukünftigen Glück.“
    Wer weiß, wie
die Begegnung ausgehen würde. Und wenn der Typ sie vor die Tür setzte, weil sie
ihm nicht gefiel? Wie würde sie zurück nach Hause finden? Vanja war es gewohnt,
sich auf sich selbst zu verlassen. Viel gelernt hatte sie in der Schule nicht,
aber sie hatte ein sehr zuverlässiges Gedächtnis. Während der Wagen mit
deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die Großstadt raste, prägte Vanja sich
die Kreuzungen, Kreisverkehre und Abzweigungen sowie die Zahl der Ampeln, die
sie passierten, genau ein.
    Der Freier
schien am entgegengesetzten Ende der Stadt zu wohnen. Die Fahrt dauerte endlos.
Zu Fuß würde sie Stunden für den Rückweg brauchen.
    Mit halbem Ohr
vernahm sie ein paar Sätze des derzeitig beliebtesten Hits aus den auf äußerste
Lautstärke gedrehten Lautsprechern: „Kehr um, kehr um, du junge Braut, du bist
in einem Mörderhaus“.
    Obwohl Vanja
den Song in den letzten Wochen schon oft daheim gehörte hatte, überkam sie mit
einem Mal eine unerklärliche Angst. Aber jetzt war es zu spät. Selbst wenn die
Männer sie aussteigen ließen, hätte sie sich unmöglich wieder bei ihrem Vater
blicken lassen können, ohne sich dem vorgeschlagenen Freier
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