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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
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festgelegte
Thronfolge hatte es in seinem Reich nie gegeben. Es galt das ungeschriebene
Gesetz: Als König ist der beste Sohn gerade gut genug. Wer war aber der Beste
unter seinen drei Söhnen? Fragte man den König, sagte er als guter Vater: „Alle
drei. Da gibt es keinen Unterschied.“ Fragte man die Söhne, sagte jeder: „Ich.
Wer sonst wohl?“ So war die Thronfolge also nicht zu regeln.
    Der König las
Tage und Nächte in den Märchen seines Volkes, um einen Präzedenzfall zu finden,
wie andere Könige das schwierige Problem erfolgreich gelöst hatten. Die Lösung
war verblüffend einfach: Der König stellte ihnen eine Aufgabe und schickte sie
in die Welt hinaus. Wer sie löste, erhielt das Königreich.
    „Hört zu,
meine Söhne“, jeder von euch ist mir gleich lieb und teuer, versteht mich also
bitte nicht falsch. Nicht Misstrauen bestimmt meine Worte, sondern Weisheit.
Ich möchte herausfinden, wer von euch am besten geeignet ist, nach meinem Tod
das Reich zu regieren.“
    „Bist du etwa
krank?“, riefen die Söhne und konnten ihre große Freude kaum verbergen.
    „Das nicht. Im
Gegenteil. Aber die Ungewissheit lässt mir keine Ruhe. Nun aber zu der Aufgabe.
Zwanzig Tagesreisen von hier liegt das Reich unseres Erzfeindes, des Königs
Machiro von Machirokko. Er droht uns ständig mit Vernichtung, was er, mächtig
wie er ist, bestimmt eines Tages auch in die Tat umsetzt, wenn wir nicht
rechtzeitig Maßnahmen ergreifen. Er soll, wie mir zugetragen wurde, eine
Tochter im heiratsfähigen Alter haben. Wenn es einem von euch gelingt, diese
zur Frau zu gewinnen und das Reich König Machiros durch Heirat mit meinem zu
verbinden, so soll dieser mein Nachfolger sein.“
    „Ist sie
hübsch?“, riefen die Prinzen durcheinander. „Ist sie jung?“
    „Das kann ich
auch nicht sagen. Das müsst ihr schon selbst herausfinden. Aber das spielt in
diesem Fall auch gar keine Rolle. Morgen brecht ihr auf.“
    „Und die
Vorbereitungen?“, riefen die Prinzen empört, die sich vorstellten, mit einem
riesigen Gefolge von Dienern und Soldaten, Reitelefanten und Pferden die lange
und beschwerliche Reise anzutreten.
    „Wir müssen
unbedingt verhindern, dass König Machiro an einen Angriff glaubt. Deshalb habe
ich beschlossen, dass ihr die Reise ohne Begleitung antretet. Und zwar zu Fuß.“
    „Zu Fuß?“,
riefen alle drei entsetzt. „Und wo sollen wir schlafen? Und wer kleidet uns an?
Und wer bereitet uns unser Essen? Und wer trägt die Geschenke für König
Machiro?“
    „Das ist euer
Problem“, sagte König Nabur. „Auf diese Weise könnt ihr beweisen, dass die
Qualitäten eines echten Königs in euch stecken. Nun schlaft euch noch einmal
aus. Morgen früh marschiert ihr los.“
    Der älteste
Sohn wählte die ausgebaute Straße zur Grenze, aber als diese im Nachbarland
plötzlich endete und in ein unwegsames Gelände mit Dornen und dichtem Buschwerk
überging, in dem er sich fortwährend verfing, fluchte er: „Das mache ich nicht
mit“, und kehrte noch am selben Tag um.
    Der mittlere
Sohn ging abseits der befestigten Straße, weil er hoffte, den Weg auf diese
Weise abkürzen zu können. In kurzer Zeit hatte er sich so verlaufen, dass er
Tage brauchte, um auf die befestigte Straße zu stoßen, die zurück zum
Königsschloss führte. „Nicht mit mir“, rief er wutentbrannt. „Lieber verzichte
ich auf das dämliche Königreich, bevor ich mir solche Strapazen antue.“
    Der jüngste
Sohn war spät aufgestanden, ließ sich von seinen Dienerinnen baden, salben und
anziehen, frühstückte ausführlich und ließ dann nach dem Hofschreiber rufen.
Diesem diktierte er einen vor Lob und Komplimenten triefenden Brief an König
Machiro, in dem er diesem vorschlug, alle Feindseligkeiten der Vergangenheit
einzustellen und den neuen Frieden durch eine Heirat zwischen der Prinzessin
und Prinz Zaporo zu besiegeln. Als Köder fügte er noch hinzu. „Eine Verbindung
zwischen Eurem und meinem Königshaus böte die einmalige Gelegenheit, die
Länder, die zwischen unseren Reichen liegen, zu unterwerfen und unter uns
aufzuteilen.“ Der jüngste Sohn unterschrieb mit dem Namen des Königs, um mehr
Eindruck bei König Machiro zu hinterlassen. Er sah das nicht als Fälschung an,
denn schließlich würde er sowieso bald König sein.“
    Die Antwort
ließ lange auf sich warten, was aber an den langen Wegen, nicht etwa am Zögern
König Machiros lag. Dieser war begeistert von dem Vorschlag und stimmte ihm
uneingeschränkt zu, schickte auch
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