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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0
Autoren: Claus Christian Malzahn
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Freiheit
    Freiheit ist nicht nur ein politischer Zustand, der ein Individuum in die Lage versetzt, aus verschiedenen Möglichkeiten und
     auf eigenes Risiko seine persönliche Wahl zu treffen. Die Freiheit, von der hier auch die Rede sein soll, ist ein brennendes
     Gefühl. Man spürt es vor allem, wenn die persönliche Freiheit unerreichbar scheint. Doch man ahnt, wie es sein müsste, ohne
     Bevormundung, Zensur und Repressalien zu leben.
    Diese Sehnsucht befeuerte 1989 den Widerstand gegen das SE D-Regime und dessen Untergang, doch die Erinnerung daran ist nach zwanzig Jahren verblasst. Im Westen Deutschlands kennt man das Gefühl
     gar nicht: Wer in liberale politische Verhältnisse hineingeboren wird, kann sich oft nicht vorstellen, was es bedeutet, in
     einer Diktatur sein Dasein fristen zu müssen. Die Vorzüge der Freiheit, die weitgehende persönliche Autonomie in allen Lebenslagen,
     ist für die meisten Europäer heute so selbstverständlich wie Billigfliegerangebote im Internet und Sonderangebote im Supermarkt.
     Dabei ist es gerade einmal zwei Jahrzehnte her, dass sich die Völker in der ostwärts gelegenen Hälfte Europas entscheidende
     Freiheiten wie ein Leben ohne Zensur und staatliche Gängelung erkämpft haben. Und auch im Westen fielen Demokratie und Menschenrechte
     nach dem Zweiten Weltkrieg als Dreingabe zu amerikanischen Care-Paketen nicht einfach so vom Himmel. In Griechenland herrschte
     von 1967 bis 1974 die Militärdiktatur der Obristen, auch in Portugal wurde erst 1974 mit der Nelkenrevolution ein autoritäres
     Regime beiseitegefegt; in Spanien hielt sich der faschistische Diktator Franco gar bis zu seinem Tode 1975.
    Heute scheinen Freizügigkeit und Freiheit in ganz Europa unverrückbare politische Konstanten zu sein. Doch mit der Verabschiedung
     einer europäischen Verfassung, die unsere Freiheit auf dem alten Kontinent besiegeln und auf Dauer garantieren soll, tun wir
     uns seit Jahren schwer. In Weißrussland, das ebenfalls zu Europa gehört, kennt man Meinungsfreiheit nur vom Hörensagen, in
     der Ukraine haben sich die Menschen während der »Orangen Revolution« vom Winter 2004   /   2005 zwar erfolgreich gegen massive Wahlfälschungen gewehrt – doch die politische Zukunft des Landes, das Moskau immer noch
     als seinen Vorhof betrachtet, ist ungewiss. Zwar käme niemand ernsthaft auf die Idee, das Italien von heute in einer Reihe
     mit Schurkenstaaten wie dem Iran oder dem Regime auf Kuba zu nennen. Aber die Machtkonzentration des amtierenden Ministerpräsidenten
     Berlusconi, der über Dutzende eigener Fernsehsender und ein Zeitungsimperium verfügt und dort nach Belieben seine eigene Hofberichterstattung
     organisieren kann, gibt zumindest Anlass zur Sorge. Auch das europaweite Comeback fremdenfeindlicher bis offen rassistischer
     Parteien in Österreich, Holland, der Schweiz Belgien und Ungarn macht die EU nicht gerade zu einer stolzen Bastion der Freiheit.
    Auf der anderen Seite reüssieren in Ost- und Mitteleuropa Dutzende populistische, antisemitische und postkommunistische Parteien,
     die sich die Freiheit nehmen, alte Vorurteile und nationalistische oder ideologische Mythen zu mobilisieren und damit relativ
     erfolgreich in den politischen Raum, in manchen Ländern auch in die Regierungen drängen. Kurz gesagt: In Europa geht es heute
     zwar so liberal und friedlich zu wie noch nie in seiner langen, wechselhaften Geschichte. Doch für einen letzten Satz »Und
     zwischen Lissabon und Minsk lebten sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage« ist es leider noch viel zu früh. Das
     Ende der Geschichte, vom amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch derSowjetunion in einem fulminanten Essay vorhergesagt, war nur ein romantischer Geistesblitz, dem man in der ersten Euphorie
     nach dem scheppernden Zusammenbruch des eisernen Vorhangs nur allzu gern geglaubt hat. Einen historischen Automatismus zu
     immer mehr liberaler Demokratie, die sich in schönster Hegelscher Gesetzmäßigkeit in alle Welt verbreitet, gab es schon damals
     nicht. Denn als Fukuyama seine bestechende These formulierte und mit den Mitteln des historischen Materialismus das Ende des
     Marxismus und die Morgenröte der Freiheit besang, wetzten auf dem Balkan die Kontrahenten schon längst wieder die alten, stumpfen
     Messer. Mehr als 100   000   Menschen fielen dem kriegerischen nationalistischen Wahn mitten in Europa zum Opfer. Der letzte Balkankrieg ist kaum
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