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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk
Autoren: Diethelm Kaminski
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vorgestellt zu haben.
    Der Wagen fuhr
jetzt durch ein Stadtviertel, in dem Vanja noch nie gewesen war. Stattliche,
weiß in der Dunkelheit leuchtende Villen in großen Gärten hinter hohen Hecken
und Mauern. Vor einer dieser Villen, abseits von anderen gelegen, endete die Fahrt.
    „Da sind wir“,
sagte der Fahrer. „Geh nur rein. Sie warten bestimmt schon. Wir müssen uns um
den Wagen kümmern.“ Diesmal half ihr niemand beim Aussteigen.
    Vanja betrat
das nur schwach beleuchtete Haus, rief mehrmals: „Ist hier jemand?“, erhielt
aber keine Antwort. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, doch sie fand keine lebende
Seele in dem großen Haus. Schließlich stieg sie hinab in den Keller und rief:
„Ich bin´s, Vanja Katurova, ich bin mit Herrn Gregorovitsch verabredet. Ist
hier jemand?“
    „Du Ärmste“ vernahm
sie die piepsige Stimme einer alten Frau aus dem Hintergrund des schummerigen
Gewölbes. „Haben sie wieder ein Opfer gefunden? Wärst du doch bloß nicht in ihr
Auto gestiegen. Nun ist es zu spät. Ich höre sie schon kommen. Gleich wird es
dir ergehen, wie all den jungen Mädchen vor dir. Erst machen sie dich sich
gefügig und dann verkaufen sie dich als Dirne in irgendein Land im Süden oder
Westen. Ich schäme mich für meinen Sohn, aber was soll ich machen? Ich muss
froh sein, bei ihm mein Gnadenbrot zu erhalten.“
    „Du musst gar
nichts machen“, sagte Vanja. „Nur den Mund halten und mich nicht verraten. Ich
verstecke mich hinter einem dieser Weinfässer und warte dort, bis ich fliehen
kann.“
    Da wurde auch
schon die Tür aufgestoßen, und Vanja sah durch einen Spalt zwischen zwei
Fässern, wie zwei Männer ein junges Mädchen, das laut um Erbarmen flehte, in
den Raum zerrten, ihr die Kleider vom Leib rissen und sie brutal auf eine Liege
stießen, die mitten im Raum stand.
    „Erst ich“,
sagte der Kleinere von beiden. „Ich habe sie schließlich aufgespürt. Dann du.“
    „Und der
Boss?“
    „Keine Sorge.
Der hat sein Vergnügen schon gehabt. Er hat sie bereits freigegeben. Aber beeil
dich. Das Auto wartet bereits, um die Schlampe noch heute über die Grenze zu
bringen.“
    „Guck mal, was
der Boss übersehen hat. Ein Ring. Aus purem Gold. Ein verdienter Lohn für
unsere Anstrengungen. Zieh ihn ihr ab.“
    „Geht nicht“,
sagte der Größere nach mehreren vergeblichen Versuchen, dem Mädchen den Ring
vom Finger zu streifen.
    „Das werden
wir gleich sehen“, sagte der andere, zog ein Messer mit stehender Klinge aus
der Seitentasche seiner Hose und schnitt dem vor Schmerz aufheulenden Mädchen
den Finger ab. Er schleuderte ihn mit der angeberischen Pose eines siegreichen
Feldherrn über seine Schulter hinter sich. Der Finger landete hinter den
Fässern neben Vanja, die zutiefst erschrak, sich aber nicht rühren durfte.
    „Dummkopf“,
schimpfte der Kleine. „Der Ring ist doch noch am Finger.“
    „Mach voran“,
sagte der Große, „der Finger läuft uns nicht weg. Den holen wir uns später.
Aber wickele ihr erst ein Taschentuch um die Wunde. Ist ja ekelhaft, dieses
Blut.“
    Nachdem die
beiden Ganoven sich an dem Mädchen vergangen hatten, warfen sie ihr ihre
Kleider vor die Füße und schleppten sie aus dem Gewölbe. Vanja nutzte die
Gelegenheit, stopfte den abgeschnittenen Finger mit dem Goldring in ihr
Handtäschchen und schlich sich unbemerkt aus dem Haus.
    Sie hatte sich
den Weg gut gemerkt, aber trotzdem war sie erst wieder daheim, als der Morgen
bereits graute.
    Ihr Vater hatte
die ganze Nacht nicht geschlafen, so neugierig war er zu erfahren, ob die
Vorstellung bei dem reichen Freier erfolgreich verlaufen war.
    „Wie war´s?
Erzähl“, herrschte er seine Tochter an.
    „Mach dir
keine Sorgen. Jetzt wird alles gut. Ich laufe gleich ins Rathaus, um das
Aufgebot zu bestellen. Er kann es gar nicht abwarten, so schnell wie möglich
unter die Haube zu kommen.“
    Vanja lief
jedoch nicht zum Standesamt, sondern zum Sitz der Kriminalpolizei, einem
imposanten Gebäude im Nachbarviertel, wo sie sich bis zum Dezernat
„Mädchenhandel“ durchfragte.
    „Wie hoch ist
die Belohnung für die Aufdeckung eines internationalen Mädchenhändlerrings?“,
fragte Vanja selbstbewusst und unverblümt den Kripobeamten, an den man sie
verwiesen hatte.
    „Sind sie
Opfer oder Mitglied einer Mädchenhändlerbande?“, fragte der Beamte.
    „Weder noch,
aber um ein Haar wäre ich Opfer geworden. Ich weiß, wo die Bande ihr Versteck
hat. Ich kann sie hinführen. Und die Täter würde ich auch
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