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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
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zurückgezogen, habe wenig gesprochen und wenn, dann in nebuloser Weise von Spanien. Marie nahm an, dass ein Mann im Spiel sei; die plötzliche Abreise der Schwester habe sie dann doch sehr gekränkt und erschüttert, sie hatte nur die Hoffnung, dass die Schwester wieder zur Vernunft kommen möge, an ein Verbrechen habe sie nie gedacht.
    All dies war für die Öffentlichkeit unbefriedigend, was manche Presseorgane zu den wildesten Spekulationen veranlasste. Geheimgesellschaften, Geheimdienste, Geheimorgien, die ganze Palette. Alle Nachbarn wurden serienweise interviewt, Marie Kaserer und Manfredo Gonzales Leupold vorneweg, aber auch Mauritius Schott und Lebensgefährtin, ebenso alle, die in der Silvesternacht auf der Party gewesen waren. Mit der Zeit ließ das öffentliche Interesse nach, als der Frühling begann, war es erloschen. Die Tochter der Frau Dr. Leupold erbte das Grundstück und verkaufte es umgehend an eine Baugesellschaft, die eine kleine, aber feine Reihenhausanlage darauf bauen würde. Drei Monate nach dem Umglück war der letzte Rest der Leupold-Villa vom Angesicht der Erde getilgt.

    *

    »Komm und schau dir das an!« Schott rief in die Küche, wo Hildegard einen Sauerbraten vorbereitete.
    »Was denn?« Hildegard kam, stellte sich neben Schott und legte ihren Arm um ihn. Von der offenen Terrassentür aus beobachteten sie das Treiben im Garten. Die Sonne schien, die letzten Reste des langen Winters waren verschwunden.
    »Ich dachte immer, die sind einander spinnefeind«, sagte Schott. Zwei Kater liefen im Garten hintereinander her, einmal der eine dem anderen, dann der andere dem einen. Als ob sieFangen spielten. Aber keiner erwischte den anderen. Der eine war der Kater Sami.
    »Das ist doch dieser komische Kater von den Staubers«, sagte Hildegard. »Wie heißt er?«
    »Schnurrli.«
    »Absurd …«
    »Er hört sowieso nicht auf den Namen. Hat mir Frau Stauber erzählt.«
    Kater S. verschwand hinter dem Haus in der Hecke, Sami folgte ihm. Die beiden Menschen gingen ins Haus zurück.
    Jede Katze braucht einen Menschen, wie jeder Mensch einen Gott braucht. Nicht alle Katzen haben einen Menschen, wie nicht alle Menschen einen Gott haben. Wenn eine Katze einen Menschen hat, ist das für sie so, wie wenn ein Mensch einen Gott hat.
    Welche Götter Sami und der Kater S. in dieser Geschichte hatten, lässt sich nicht sagen. Beim Kater S. nicht, Staubers kamen als Götter nicht in Frage; kann sein, dass der Kater S. sowieso Atheist war. Sami hatte die Frau Leupold als Göttin, sicher, aber Dr. Nowak als Gott? Oder Mauritius Schott? Manfredo, der nun dauernd in Wien lebte und nie mehr nach Dornbirn zurückkehrte, eher nicht. Und Marie Kaserer sowieso nicht, ihre Antipathie gegen Katzen hatte sich noch verstärkt, sie waren ihr unheimlich. Das sagte sie aber niemandem. Die Renovierung ihres Hauses hatte begonnen, Wärmedämmung des Dachbodens, neue Fenster und eine Luftwärmepumpe. Marie war oft bei Schotts (sie nannte sie so, obwohl Hildegard und Mauritius nicht verheiratet waren) – und an diesem Detail sieht man schon die Wesensänderung der Marie Kaserer. Früher hatte sie keinen Kontakt zu Schott gesucht, auch sonst zu keinem Nachbarn. Jetzt war sie aufgeschlossen, ging auf die Leute zu und so weiter … aber eben: Mit einer spontanen Remission kann man leicht gut aufgelegt sein. Und das war sie,gut aufgelegt, besonders, seit sie die militärischen Hinterlassenschaften des Vaters in einer mondlosen Februarnacht im Bodensee versenkt hatte. Einschließlich der MP 40 – ja, genau, das ist diejenige, welche …
    Marie lud die Schotts zum Essen ein und wurde von ihnen eingeladen. Über die Vergangenheit sprachen sie nicht. Nicht über die Leupold-Villa, nicht über Manfredo, nicht über Dr. Nowak, nicht über Margit. Das fiel ihnen nicht schwer. Sie mussten sich nichts »von der Seele« reden. Da war gar nichts drauf, auf der Seele.
    Denn sie waren alle miteinander nicht schuld.
    Diese Überzeugung einte sie, auch wenn sie nicht darüber sprachen. Und tun konnten sie nichts. Was hätte das Reden gebracht? Dr. Nowak und die Formel für Theophanin waren dahin. Marie fand das unendlich bedauerlich, aber ihr Geständnis hätte das Wundermittel auch nicht ans Licht gebracht. Jemand anderer würde es wiederentdecken, diese Hoffnung bleibt der Menschheit, dachte Marie Kaserer. Das ist doch auch etwas! Man wird diese Einstellung vielleicht unbefriedigend finden, was den Fortschritt des Menschengeschlechtes
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