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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
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hatte. Mit so einem Psychoblödsinn brauchte man ihr nicht zu kommen. Woran es aber lag, wusste sie nicht. Der Zufall wollte es, dass sie ihren Onkologen, Dr. Wohlgenannt, auf dem Wochenmarkt in der Innenstadt traf. Der Arzt war überrascht, sie zu sehen. Er kannte sie nur aus der Praxis und wusste, dass sie die Öffentlichkeit wegen der Anfallsgefahr mied; wenn sie sich hatte sehen lassen, dann nur in der Begleitung der Schwester. Die Schwester hatte sie auch immer zu den Arztterminen gefahren. Marie begrüßte Dr. Wohlgenannt, brachte ihr Sprüchlein über die Spanienreise der Margit Kaserer an und wollte sich dann verabschieden; sie hatte vor, heute wieder einmal gefüllte Paprika zu machen, nur für sich selber, das erste Mal seit Jahren, weil Margit, die sonst immer kochte, gefüllte Paprika verabscheute. Aber Dr. Wohlgenannt ließ sie nicht gehen.
    »Sie machen einen ausgesprochen gesunden Eindruck, Frau Kaserer! Das sollten wir uns näher anschauen …«
    »Anschauen? Wozu denn, es ist doch eh alles immer gleich. Offen gesagt, mir langt das einmal im Jahr – ich hab sowieso nur Schiss, dass es schlechter wird.«
    »Und – geht es Ihnen schlechter?«
    »Wenn Sie mich so fragen … nein. Eher besser, aber Sie kennen meine Einstellung dazu …«
    Dr. Wohlgenannt nickte. Marie Kaserers Einstellung zu ihrer Krankheit bestand darin, jede nur vermutete und nicht bewiesene Besserung schroff abzulehnen. Der »verfluchte Optimismus«, wie sie das nannte, hatte ihr in ihrer langen Leidensgeschichte schwere Enttäuschungen beschert, wenn das neue Medikament doch nicht das brachte, was man sich davon versprach. Oder wenn Phasen, in denen es besser ging, gleich mit dem Wunderwörtchen Spontanremission umraunt wurden. Das Verwinden dieser Niederlagen kostete sie Kraft, die sie zur Lebensbewältigung brauchte, sie konnte sich schlicht keine Enttäuschungen leisten. Und subjektiv besser ging es ihr vielleicht nur, weil ihr der gute Nachbar Nowak an diesem Vormittag die versprochenen dreißigtausend Euro gebracht hatte.
    Dr. Wohlgenannt kannte seine Patientin seit vielen Jahren und sagte deshalb: »Anschauen müssen wir das trotzdem, nicht, dass da noch was anderes dahintersteckt.« Jede andere hätte diese wolkige Drohung in Unruhe versetzt, Marie Kaserer war die Aussicht auf eine mögliche Gefahr durch eine zweite Front lieber als die Hoffnung auf grundsätzliche Besserung. Denn die würde sich mit großer Wahrscheinlichkeit als Schimäre erweisen – und das hielt sie einfach nicht mehr aus. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit würde aber auch nichts anderes hinter ihrer Gutphase stecken – und das würde sie entlasten.
    »Wir schauen uns das jetzt gleich einmal an«, sagte Dr. Wohlgenannt. Anschauen hieß Computertomografie in Innsbruck.
    »Da ist doch jetzt kein Termin frei«, wandte sie ein.
    »Lassen Sie das meine Sorge sein, ich krieg das schon hin.« Sie stimmte zu, gegen Dr. Wohlgenannt kam sie nicht an. Am selben Nachmittag rief er an. Er hatte einen Termin, Silvester. Über Weihnachten sei alles dicht gewesen, aber am letztenTag des Jahres ginge es, sagte er. Den Transport mit einem Krankenwagen hatte er auch schon organisiert. Marie Kaserer stimmte zu. Dr. Wohlgenannt kam dem, was andere Frauen an ihren Ehemännern hatten, am nächsten. Er war Funktionär der Ärztekammer und über seine Studentenverbindung gut vernetzt bis in hohe Kreise der Politik. Und verheiratet mit einer schwerreichen Frau aus einer Unternehmerdynastie. Er erreichte, was er wollte.
    So kam es, dass Marie Kaserer, die sich zu jenem Zeitpunkt eine Zugfahrt ohne weiteres zugetraut hätte, sich am 30. Dezember, einem nasskalten Regentag, mit einem Krankenwagen nach Innsbruck aufmachte.

    *

    Die Metzgerei Schmuck lieferte das Bestellte am Nachmittag kurz nach drei. Schott hatte aus zwei Malerböcken und Brettern im Wohnzimmer einen großen Tisch aufgebaut und beim BAUHAUS noch einen Satz Plastikgartenstühle besorgt. Der Behelfstisch wurde voll. Platten, Schüsseln, Teller. Im Kühlschrank standen bis vornehin die Champagnerflaschen. Hildegard wollte sich am finanziellen Aspekt beteiligen, was er ablehnte. »Mach du nur deine Sache, das hier erledige ich. Ich hab’s ja!« Dabei lachte er, die Nervosität war herauszuhören.
    Ja, Mauritius Schott war nervös. Nervös beschrieb die Sache unzureichend. In Wahrheit stand er kurz davor, die Nerven überhaupt wegzuschmeißen – und damit jede halbwegs erfreuliche Zukunft, wie er sich den
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