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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
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Kurz: Der Frau Doktor Leupold war es gelungen, den Ruhestand ein paar Jahre zu verlängern, und zwar dort, wo allein es Sinn hat, am vorderen Ende.
    Es ist ihr auch zu gönnen, denn mit der Frau Leupold hätten die wenigsten von uns tauschen mögen. Sie wohnte mit Sami in einer Villa, die ihr Großvater als Textilfabrikant am Beginn des letzten Jahrhunderts gebaut hatte. Sie wohnte im geerbten Domizil allein, weil sie sich nach einer kurzen, unglücklichen Ehe hatte scheiden lassen. Den Namen des Mannes, eines Maschinenbauingenieurs, hatte sie behalten, weil er ihr besser gefiel als der eigene (Hämmerle). Der Dipl.-Ing. Leupold lebte schon viele Jahre in Wien, es gab keinen Kontakt mehr. Die Tochter aus dieser Ehe, das einzige Kind, ergriff die Flucht und heiratete einen spanischen Anwalt; die Ehe, soweit ihre Mutter das mitbekam, schien glücklich zu sein, Hildegard lebte mit ihrem germanophilen Ramon in Valencia, ihr Sohn hieß nach spanischer Sitte, die den Familiennamen der Mutter einbezieht, Manfredo Gonzales Leupold, aber Manfredo verstandsich weder mit dem Vater noch mit der Mutter und kehrte, als er achtzehn war, nach Österreich zurück, um in Wien Germanistik zu studieren, was einen totalen Bruch mit den Eltern auslöste. Die hatten sich für ihren perfekt zweisprachigen Sohn eine EU-Karriere erträumt; um aber bei einer großen Zentralbehörde, sie heiße, wie sie mag, etwas zu werden, hätte Manfredo, wie seit fünfhundert Jahren im Abendland üblich, Jurist werden müssen. Für die Juristerei fehlte ihm jedes Interesse, für Germanistik übrigens auch, wie er bald feststellte, denn Manfredo Gonzales Leupold fühlte sich als Künstler und erbrachte mit diesem Namen schon eine beträchtliche Vorleistung, was ihm, seien wir ehrlich, etwa mit »Hans Huber« nicht gelungen wäre. (Er ließ sich auch in Wien »Manfredo« nennen, nicht etwa »Manfred«.) Was nun sein künstlerisches Talent angeht, so war es zweifellos vorhanden, wie alle versicherten, die ihn kannten, nur schien es über alle Bereiche der Kunst gleichmäßig verteilt, dadurch kam auf den einzelnen Sektor nicht so viel, wie Manfredo es sich gewünscht hätte. Er dichtete und musizierte, malte und modellierte, er sang und schauspielerte bei freien Gruppen. In der Wissenschaft sagt man, der Spezialist wisse alles über nichts, der Generalist nichts über alles. Manfredo Gonzales Leupold war also Generalist.
    Unsere Zeit ist für Generalisten nicht günstig. Die meisten haben einen Brotberuf oder einen Sponsor. Manfredos Sponsor war seine Großmutter. Jedenfalls war es das, was die Nachbarn glaubten: Manfredo lebte in Vorarlberg, weil es so bequemer war, sie anzupumpen, die arme Frau. Unerklärlich blieb ihnen, was er bei diesen Verhältnissen wochenlang in Wien trieb, wo er sich nach Angaben seiner Großmutter aufhielt, wenn sie sich erkundigten, die Nachbarn. Der Manfred musste in Wien irgendwo wohnen, doch wohl nicht im Hotel, oder? Wovon sollte er andererseits eine Wohnung zahlen? Aber genauer zu fragen trauten sie sich nicht.
    Was seine Großmutter betraf, so gab es für die Mitwelt keine Zweifel: Sie war reich. Sonst würde sie ja nicht in der Hämmerle-Villa wohnen; wer dort wohnte, hatte sie geerbt, und wer die Villa geerbt hatte, besaß auch noch einen Haufen andere Güter. Nur ein paar wussten es besser. Von dem Hämmerle-Vermögen war nicht so viel übrig, dass es auch nur zur Erhaltung gereicht hätte. Ein unförmiger, grauer Kasten mit Gaupen und Giebeln und einem Turm und einer Dachfläche von der Größe eines Tennisplatzes und siebenundzwanzig Fenstern, jedes aus acht kleinen Scheiben in bröckelnden Holzrahmen und einer später eingebauten Zentralheizungsanlage aus dem Jahr 1962 mit einem Ölverbrauch von achttausendfünfhundert Litern. Ja, so war das. Von den Sanierungskosten, die sich Frau Dr. Leupold hatte ausrechnen lassen, hätte man zwei schmucke Einfamilienhäuser hinstellen können. Das war also illusorisch. Eine ganze Menge Geld war beim Kauf heimischer Immobilienpapiere verschwunden; so viel, wie ihre Nachbarn glaubten, war es sowieso nie gewesen, so dass sich Frau Leupold mit einer prekären finanziellen Situation konfrontiert sah, bis … aber wir greifen vor. Die Situation hatte sich in den letzten beiden Jahren vollständig gewandelt, nur konnte die Frau Doktor Angewohnheiten, die sie unter der Last der Verhältnisse im Laufe von Jahren angenommen hatte, nicht über Nacht ablegen. Zu diesen Angewohnheiten gehörte
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