Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
der Drang, die Sucht geradezu, im Hause alles selber zu reparieren, was nur irgendwie zu reparieren war. Von ihrer Ausbildung als Chemikerin besaß sie ohnehin ein Gefühl für apparative Praxis.
    Zu den einfachsten Übungen im Reich des Selbermachens gehört das Auswechseln von Glühbirnen, was manchem lächerlich vorkommen wird, das ist doch keine Reparatur, wird er sagen, dann könne man ja auch schon das Türöffnen zum »do it yourself« rechnen, aber derjenige sollte bedenken, dass der Glühbirnentausch an einer Deckenlampe in einem Hausmit vier Meter hohen Räumen keine ganz triviale Sache mehr ist. Man braucht eine Leiter, aber um sie aufzustellen, müsste man im Esszimmer, wo eine von den fünf Birnen im Jugendstilleuchter ausgefallen ist, den großen Esstisch zur Seite rücken, was kein Mensch tut, weil das Ding etwa zweihundert Kilo wiegt. Auch dem unpraktischsten Zeitgenossen wäre eingefallen, einfach auf den Tisch zu steigen. Für einen Menschen normaler Körpergröße war der Luster dann in Reichweite.
    Frau Dr. Leupold machte es genauso. Sie hatte bei ihrem allabendlichen Rundgang das Versagen der Birne im Esszimmer entdeckt. Auf diesem Rundgang, der sie vom Keller durch alle Räume bis zum Dachboden führte, überprüfte sie alle technischen Einrichtungen, suchte nach Rissen im Putz, lockeren Fensterscheiben und losen Dachziegeln.
    An jenem Abend stieg sie vom ersten Stock ins Erdgeschoss hinunter. In einer Sechzig-Quadratmeter-Garconniere ist das weiter kein Problem: Die Glühbirnen liegen in der Küchenschublade, keine Lampe ist davon weiter entfernt als fünf Meter, aber in einem Haus mit fast siebenhundert Quadratmeter Wohnfläche müssen alle Dinge ihren fixen Ort haben und dürfen nicht irgendwo verstaut werden, wo gerade Platz ist; das Suchen wäre endlos. Die Glühbirnen und tausend andere Sachen waren in einem kleinen Raum im Erdgeschoss in Wandregalen untergebracht, die Hintertür führte von hier in den Garten. So konnten Einkäufe gleich am richtigen Ort verstaut werden, wenn man das Haus von hinten betrat, was Frau Dr. Leupold sich zur Regel gemacht hatte.
    Durch die Hintertür betrat auch der Kater Sami das Haus. Er hatte eine Katzenklappe. Manchmal benutzte er sie allerdings nicht, sondern blieb außen vor der Tür sitzen, bis er seinen Menschen im Raum dahinter rumoren hörte, und meldete sich dann mit Miauen. Es war dies überhaupt die einzige Gelegenheit, bei der er den katzentypischen Laut vernehmen ließ,sonst klang das, was er von sich gab, nach allem Möglichen, nur nicht nach Miau. Wenn Frau Dr. Leupold diesen Ton hörte, wusste sie, dass die Hintertür geöffnet werden musste; aus Gründen, die im Dunkeln blieben, weigerte er sich dann, den Schlupf zu benutzen, saß, wenn es sein musste, die ganze Nacht im Freien. Diesmal war es anders. Kaum hatte die Frau Dr. Leupold die Hintertür aufgeschlossen, schoss der Kater an ihr vorbei ins Innere des Hauses. Die Tür ließ sie offen. Sie musste weg, wollte aber das Auswechseln der Glühbirne nicht bis zu ihrer Rückkehr verschieben; Verschieben, aus welchen Gründen immer, war der Anfang vom Ende, für ein Haus wie das ihre bedeutete Verschieben, egal, was auf später verschoben wurde, den Beginn des Verfalls. Sie nahm eine Glühbirne aus dem Regal, lief nach oben, zog die Hausschuhe aus und stieg über einen der Stühle auf den Esszimmertisch.
    Frau Dr. Leupold hätte nicht von ihren Gewohnheiten abrücken sollen; nein, nicht das sofortige Auswechseln der Glühbirne ist gemeint, das Nicht-Aufschieben notwendiger Handlungen, das war schon in Ordnung – sondern das Offenlassen der Tür, um zwei Sekunden einzusparen. Denn durch diese offene Tür betrat nun ein zweiter Kater das Haus der Frau Dr. Leupold.
    Dem Kater hatten die Menschen den Idiotennamen »Schnurrli« gegeben, was auf diese und auf seine Verhältnisse überhaupt ein bezeichnendes Licht wirft; ein Name, auf den er, zu seiner Ehre sei es gesagt, niemals hörte. Dieser Kater war zweifärbig, Beine, Bauch und Brust weiß, Oberseite und Kopf rötlich, wobei bei ihm die scharfe Begrenzung halbmondförmig über die Flanken verlief, in der Mitte weit nach unten reichend, was den ungünstigen Eindruck hervorrief, es habe ihm jemand eine Decke übergeworfen – ähnlich jenen Paletots, in die Damen ohne Sinn für die Würde eines Tieres bei kaltem Wetter ihre winzigen Schoßhunde zu hüllen pflegen; nur derFestzurrgürtel um den Bauch fehlte. Schon bei einem Hund, wie klein er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher