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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
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vermeiden, ich lehne das ab. Mir fiel ein, dass ich noch ein bisschen von dem Zeug hatte. Warum es nicht verwenden, wenn man an der Quelle sitzt und endlich etwas Gutes damit machen kann?
    »Etwas Gutes? Die eine Tante hat dann ihre Schwester umgebracht!«
    »Vielleicht Überdosierung, was weiß ich … solche Reaktionen sind in unseren Tests nie aufgetreten.«
    »Ich glaub, ich will das gar nicht so genau wissen …«
    Romuald sagte nichts mehr, Manfredo hatte die Geschichte geschluckt. Das Gespräch wandte sich dann erfreulicheren Dingen zu.
    »Wir sind bei diesem Schott eingeladen«, sagte er zu Manfredo.
    »Beim Nachbarn?«
    »Ja, der sich jetzt um Sami kümmert.« Wie aufs Stichwort erschien der Erwähnte in der Wohnzimmertür, ging auf Manfredo zu und rieb den Kopf an dessen Hosenbein. Manfredo kraulte den Kater im Nacken.
    »Ist die Katzenklappe immer noch offen?«
    »Natürlich. Sami kommt mich manchmal besuchen, gell, Sami?« Sami würdigte den Chemiker keines Blickes, gab sich ganz den Liebkosungen Manfredos hin. »Herr Schott hat nichts dagegen«, fügte Romuald hinzu. »Die beiden kommen prima miteinander aus, hat er gesagt.«
    »Und der lädt uns ein? Warum?«
    »Er gibt eine Party. Zu Silvester.«
    »Wer kommt denn noch?«
    »Seine Freundin, eine Tierärztin, glaube ich … die Marie Kaserer, Rhombergs von gegenüber, Staubers und noch ein paar. Die nähere Nachbarschaft halt. Zur Stärkung nachbarschaftlicher Beziehungen, hat er gesagt.«
    »Das ist die Frau, garantiert. Es sind immer die Frauen, die auf so was kommen. Eine Schnapsidee. Zu Silvester haben doch alle was vor, wer soll denn da kommen?«
    »Sag das nicht! Er hat bei der Metzgerei Schmuck in Bregenz ein Buffet bestellt.«
    Manfredo war überrascht. Die Metzgerei Schmuck war im ganzen unteren Rheintal berühmt für ihre Feinkost.
    »Entenbrust und Lachsschinken und solche Sachen halt. Getrunken wird Jahrgangschampagner und zu Mitternacht gibt’s Feuerzangenbowle. Es hat schon ein Haufen Leute zugesagt … und wir sollen um Gottes willen nichts mitbringen, hat er gesagt!«
    »Dann sagen wir auch zu – wir wollen doch nicht als Sonderlinge gelten, oder?« Sie lachten. »Die Aussicht auf ein Gratisbuffet ist für unsere hiesigen Kleinhäusler unwiderstehlich. Besonders in der Krise …«
    »Manfredo, ich muss es dir einmal sagen: Du bist ein arroganter Arsch!«
    Manfredo widersprach nicht.
    Weihnachten kam und das übliche Tauwetter. Die Landschaft war geprägt von Nieselregen, schütteren Schneeflecken und zwei Grad plus. Der Himmel darüber eine Betonkuppel, grau und statisch. Wer ihn ansah, glaubte nicht, dass er jemals wieder erblauen und etwas Atmosphärisches gewinnen könnte. So blieb es bis zum Jahreswechsel.
    Marie Kaserer staunte über sich selbst: wie gut sie mit dem Verlust der Schwester zurechtkam. Der Tumor stellte sich tot, tat jedenfalls so, als ob er nicht da wäre, also genau: nichts. Marie wuchsen ungeahnte Kräfte zu. Sie erledigte den Haushalt, als ob sie nie etwas anderes getan hätte, sie ging einkaufen, unterhielt sich mit den Leuten – als ob sie nicht jederzeit mitten im SPAR unter Zuckungen niederstürzen und alle Umstehenden in Verlegenheit bringen könnte. Sie tat so, als ob alles normal wäre. Margit geht es gut, danke der Nachfrage, das Wetter ist halt nicht so toll in Spanien. Über mangelnde Aufmerksamkeit konnte sich Marie nicht beklagen; man durfte Dornbirn vieles vorwerfen, aber nicht großstädtische Anonymität. Anonym war hier überhaupt niemand. Sie wurde von Leuten, mit denen sie seit Jahren nur kurze Grüße gewechselt hatte, ins Gespräch verwickelt. Alle wollten wissen, was es mit dieserSpanienreise der Margit Kaserer auf sich hatte – oder deutlicher: weswegen sie sich so gestritten hatten, dass die Schwester nicht mitfuhr. Marie machte Andeutungen. Margit sei erwachsen und könne tun, was ihr gefalle. Und wenn manche Frauen in eine bestimmtes Alter kämen, dann könne es sein, dass die Illusionen blühten wie die Maiglöckchen … da wussten dann schon alle, was sie zu denken und weiterzuerzählen hatten. Die Margit Kaserer hat den ledigen Unwillen nicht mehr ausgehalten und ist mit einem Galan auf und davon. Ja, ein Spanier soll es sein, nein, ein Ungar, Blödsinn, ein Wurstfabrikant aus Bielefeld. Und so weiter.
    Marie Kaserer ging es gut, so einfach war das. Sie fühlte sich besser als in den letzten fünfzehn Jahren. Und es lag nicht daran, dass sie ihre Schwester erschossen
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