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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Autoren: Madeleine Puljic
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der dafür eingerichteten Kellerräume der Abtei gebracht, wo sie die Wandlung zum Adepten durchlebten. Wer drei Tage später diese Räume verließ, galt nach den Regeln des Klosters nicht mehr als Kind. Das blaue Gewand der Adepten machte junge Männer aus ihnen, die sich als bereit erwiesen hatten, neue Verantwortungen im Kloster zu übernehmen.
    Entsprechend verhielten sie sich den Novizen gegenüber. Von ihren Pflichten gegenüber ihren jüngeren Brüdern waren die Adepten entbunden, stattdessen wurden ihnen neue Aufgaben zugeteilt. Unter anderem auch die beneidetste Veränderung, die die Prüfung mit sich brachte: Adepten wurden auf Besorgungsgänge in die Stadt mitgenommen.
    Seit ihrer Aufnahme im Kloster hatten sie das Gelände der Abtei nicht mehr verlassen dürfen. Das Kloster war eine nahezu autonome Organisation. Ärzte, Lehrer und sonstiges Personal waren ausschließlich hier ausgebildete Priester. Nur Vorräte mussten von außerhalb besorgt werden – und natürlich Novizen.
    Daher brachten die Novizen ihren älteren Brüdern jetzt ein neues Maß an Respekt entgegen. Die Adepten sahen und taten, was den Jüngeren untersagt war. Sie kannten Geschichten, die die üblichen Gerüchte – wer heute als Letzter im Saal erschienen war oder wer den Schuh des Lehrers an den Boden festgeklebt hatte – eindeutig übertrafen.
    Während die älteren Novizen und Adepten am meisten für jene Episoden zu begeistern waren, in denen weibliche Passanten vorkamen, denen man im Geiste nachsehen konnte, waren es besonders die glaubwürdigeren Geschichten über die alltäglichen Begegnungen, die Atlan faszinierten.
    Da die Adepten immer nur einzeln in Begleitung eines Priesters losgeschickt wurden, hatte jeder seine eigenen Erlebnisse zu erzählen, mit denen er seine Vorredner zu übertrumpfen und beeindrucken versuchte.
    Gerade war es Kirret, der von einem Ausflug zurückgekommen war und im Speisesaal seine Geschichte zum Besten gab, wo er ungeteilte Aufmerksamkeit genoss. Normalerweise war der Siebzehnjährige ein unbeliebter Erzähler. Seine langsame Art hatte ihn im Studium hinter seinen Mitbrüdern herhinken lassen und verweigerte ihm die Kreativität, die seinen Geschichten die geforderte Würze gegeben hätte. Heute war die Wahrheit jedoch spannender als jede Fantasie.
    „Die Metro war also gesperrt. Überall standen Leute von der Exekutive und es war ein Tumult, das könnt ihr euch nicht vorstellen! Sie standen da mit Blaulicht, damit man nicht hinunter konnte. Aber da hätte mich nichts auf der Welt hinuntergebracht, das sage ich euch! Aus dem Aufgang kamen nämlich dicke, schwarze Rauchschwaden. Und der Gestank! Wir konnten kaum atmen, dabei standen wir doch ganz auf der anderen Seite!“
    Kirret griff nach seinem Glas, als wollte er den Effekt seiner Worte nachhallen lassen. Tatsächlich jedoch war es die noch einmal durchlebte Angst, die ihm den Mund trocken hatte werden lassen.
    Jasseo, einer der Neulinge, forderte ihn zitternd zum Weitersprechen auf, was Kirret nochmals in der Bewunderung seiner Zuhörer steigen ließ – seit Jasseo aufgenommen worden war, hatte man ihn freiwillig noch kein Wort sprechen hören.
    „Peron hat nachgefragt, was da los ist. Sie haben erzählt, ein Zug wäre entgleist und hätte den Bahnsteig getroffen. Aber eines kann ich euch sagen: dieser Qualm und dazu dieser beißende Geruch … Kein Ort der Welt kann das hervorbringen!“
    „Was denkst du, dass es war?“ Selbst Lorios Stimme klang gedämpft, ob aus Respekt oder Furcht ließ sich schwer beurteilen.
    „Es war das Tor zur Hölle!“, entfuhr es Kirret. „Das war der Gestank von Menschen, die in Feuer leiden. Und glaubt mir, diesen Geruch kenne ich.“ Niemand wagte es, angesichts der Tränen in seinen Augen zu widersprechen, obwohl kaum jemand wusste, dass Kirret einer der wenigen echten Waisen im Kloster war. Seine Eltern hatten ihn nicht abgegeben, sie waren bei einem Brand ums Leben gekommen.
    Er musste sich einige Male räuspern, ehe er fortfahren konnte.
    „Wir sind zu Fuß weiter. Ich wäre am liebsten auf der Stelle umgekehrt, aber wir mussten ja immer noch die Lebensmittel besorgen. Weil wir wegen der gesperrten Metro nicht so weit weg konnten, hat Peron mich in einen Laden geführt, in dem ich noch nie gewesen bin. Obwohl er eigentlich viel näher am Kloster liegt, ist es offensichtlich, warm wir dort sonst nicht einkaufen. Der Grund dafür ist …“
    Kirret ließ mehrere Sekunden verstreichen, in denen er die
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