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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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begleitet, darauf sein grausames Erfahren niedergeschrieben und anklagend in Druck gegeben hätte?
    Da war keine Antwort möglich. Dem alten Weckherlin liefen Tränen. Als hätte er damit Sinn geben wollen, sagte der Student Scheffler: Außerdem sei Spee wie Opitz von der Pest gerafft worden. Nur den Namen griff Dach auf und versah dann Logau mit gedrucktem Text, damit er – weil ja aller Toten gedacht werden sollte – eins der Sonette vortrüge, die der bald nach Opitz gestorbene Fleming für jenen (auf Reisen durch die nagaische Tartarei) geschrieben hatte. Und seinen eigenen Nachruf auf den »Boberschwan«, wie der Bunzlauer auch genannt wurde, trug Logau vor: »Im Latein sind viel Poeten, immer aber ein Virgil – Deutsche haben einen Opitz, Tichter sonsten eben viel.«
    Nachdem er den Friedensfreund Lingelsheim geehrt hatte, las Dach, Zincgref zum Gedenken, aus dessen scharfsinnigen Sprüchen zwei eher heitere und die Versammlung entspannende Anekdoten vor und, als man ihn darum bat, noch eine weitere.
    So ging die angestrengte Feierlichkeit in beifälliges Geplauder über. Besonders die Alten wußten Geschichten über die Verstorbenen. Weckherlin breitete aus, wie es der junge Opitz in Heidelberg, zu Zeiten des seligen Lingelsheim getrieben hatte. Was Fleming geschrieben hätte, wäre ihm seine baltische Elsabe nicht untreu geworden, wußte Buchner genau. Es wurde gefragt, warum Spees Gedichte bisher ohne Verleger geblieben waren. Dann ging es um Studentenjahre in Leyden: Gryphius und Hoffmannswaldau, Zesen und der junge Scheffler waren dort mit schwärmerischen Ideen traktiert worden. Jemand (ich?) fragte, warum wohl Dach vermieden habe, bei der Totenehrung des Görlitzer Schusters zu gedenken, wenn doch die Böhmeisten auch hier vertreten seien?
    Indessen hatte die Wirtin mit ihren Mägden in der kleinen Wirtsstube ein eher bescheidenes Zwischenmahl getischt: in der vom Wurstbrühen fetten Suppe schwammen Mehlklietern. Brot lag in Fladen. Braunbier war zu haben. Man brach ab, tunkte ein, schlabberte, füllte nach. Rundum lief Gelächter. (Wie man die Stadt an der Ems richtig nenne: Telgte, Telchte oder gar Tächte, nach Art der hiesigen Mägde?) Dach ging den langen Tisch ab und sprach zu jedem ein wenig und mit jenen vermittelnd, die sich, wie Buchner und der junge Birken, schon jetzt im Disput erhitzen wollten.
    Es sollte nämlich nach Tisch über die Sprache geredet werden. Was sie zerstört habe und woran sie gesunden könne. Welche Regeln aufgestellt bleiben müßten und welche den Versfluß in Enge hielten. Wie der Begriff Natursprache, den Buchner als »nur mystisch« abwertete, mit besserer Zukost gesättigt werden und sich zur Hauptsprache auswachsen könne. Was als Hochdeutsch gelten dürfe und welchen Wert man den Mundarten beimessen solle. Denn so gelehrt und vielsprachig sie alle waren – Gryphius und Hoffmannswaldau zeigten sich in sieben Zungen beredt –, so regional maulten und flüsterten, babbelten, polterten, dehnten, walzten und stelzten sie ihr Deutsch.
    Der Rostocker Lauremberg breitete, obgleich als Lehrer der Mathematik seit Wallensteins Einfall in Pommern im dänischen Seeland heimisch, seinen angestammten Snack über den Tisch, und auf Platt gab ihm der Holsteiner Prediger Rist zurück. Seit bald dreißig Jahren in London sässig, schwäbelte der Diplomat Weckherlin immer noch ungemildert. Und in das vorherrschende Schlesisch mischten Moscherosch sein Alemannisch, Harsdörffer sein hitziges Fränkisch, Buchner und Gerhardt ihr Sächsisch, Greflinger sein niederbayrisches Gurgeln und Dach sein zwischen Memel und Pregel gewalktes Preußisch. Mit dreierlei Maulwerk hörte man den Gelnhausen traurige Zoten reißen und närrische Weisheiten trichtern; denn im Verlauf des Krieges waren dem Stoffel zum hessischen der westfälische und der alemannische Zungenschlag angelernt worden.
    So mißverständlich machten sie sich verständlich, so verwirrend reich waren sie an Sprachen, so ungesichert frei war ihr Deutsch; und noch vermögender bewiesen sie sich in allerlei Sprachtheorien. Kein Vers entkam seiner Regel.
    5
    Sobald Simon Dach sein Handzeichen gegeben hatte, vollzog sich der Umzug aus der Kleinen Wirtsstube in die Große Diele merkwürdig gehorsam: ihm unterwarfen die Dichter ihren oft kindlich betonten Eigenwillen. Seine Obrigkeit nahmen sie an. Ihm opferten Rist und Zesen (für ein Weilchen) ihr eingefleischtes Gezänk. Einen Vater wie diesen hatte sich Greflinger immer
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