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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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künftiger Anreise zu nennen.
    Mancherlei Anfechtung sei ihnen widerfahren. Er wolle die Ärgernisse nicht zählen. Doch gelohnt habe sich der Aufwand am Ende wohl doch. Fortan könne sich jeder weniger vereinzelt begreifen. Und wen zu Haus Enge zu bedrücken, neuer Jammer einzuholen, der falsche Glanz zu täuschen, wem das Vaterland zu schwinden drohe, der möge sich der heilgebliebenen Distel im Brückenhof vor Telgtes Emstor erinnern, wo ihnen die Sprache Weite versprochen, Glanz abgegeben, das Vaterland ersetzt und allen Jammer dieser Welt benannt habe. Kein Fürst könne ihnen gleich. Ihr Vermögen sei nicht zu erkaufen. Und wenn man sie steinigen, mit Haß verschütten wollte, würde noch aus dem Geröll die Hand mit der Feder ragen. Einzig bei ihnen sei, was deutsch zu nennen sich lohne, ewiglich aufgehoben: »Denn wilt vns, liebwerthe Freunde, noch so kurtz vergönnet die Zeit seyn, hie auf Erden zu bleiben, wird sich doch jeder Reim, wofern ihn vnser Geist nach dem Leben gesetzet, der Dauer vermengen…«
    Da sagte in Dachs sich nun aufschwingende, die versammelten Dichter der Unsterblichkeit einverleibende Rede, in seinen Satz vom bleibenden Vers, wobei er den gerollten Friedensaufruf hob und gleichfalls dem Überdauern weihte, die Wirtin vom Fenster her leise und doch zum Ausruf gespitzt: »Feurio!«
    Dann erst kamen die Mägde mit ihrem Geschrei gelaufen. Und erst jetzt – noch immer stand Simon Dach, als wollte er seine Rede dennoch zu Ende bringen – rochen wir alle den Brand.
    23
    Vom hinteren Giebel, dessen schadhaftes Reetdach bis über die Fenster der Großen Diele franste, hatte sich das Feuer als Schwelbrand in den zugigen Dachboden gefressen, wo es aufatmend Strohballen, zum Lager gebreitetes Stroh, Reisigbündel und vergessenen Plunder faßte, zu laufenden, ins verstrebte Gebälk springenden Flammen kam, um nun von innen aus beide Schrägen der Reetdeckung zu durchschlagen, unter sich die Dielen zu verzehren, mit brennenden Balken und Bohlen in die Große Diele zu stürzen, den Vordergiebel zu berennen, dann die Dachbodenstiege treppab zu laufen und die Gänge lang jede türoffene, in Hast geräumte Kammer zu besetzen, so daß bald Flammenbündel aus allen Kammerfenstern ins Freie stießen und himmelhoch einig mit dem flammenden Dachgestühl der Feuersbrunst letzte Schönheit gaben.
    So sah ich es, gesteigerter Zesen, höllischer Gryf, und jeweils anders sahen es alle, die sich mit ihrem Gepäck notdürftig in den Hof gerettet und vormals Glogau, Wittenberg oder Magdeburg in Flammen gesehen hatten. Kein Riegel hielt. Von der Vordiele aus wurden die Kleine Wirtsstube, die Küche, der Verschlag der Wirtin und die restlichen unteren Kammern aufgebrochen. Nur noch vom Feuer bewohnt stand der Brückenhof; die seiner Wetterseite vorgepflanzten Linden standen als Fackeln. Trotz Windstille: Funkenflug. Grad noch gelang es Greflinger, mit Laurembergs und Moscheroschs Hilfe, die Pferde über den Hof zu führen, die übrigen Planwagen in die Ausfahrt zu schieben und die verschreckten Gäule vor die Wagen zu spannen, da ging der Stall in Flammen auf. Lauremberg wurde von einem Rappen getreten, weshalb er fortan rechtsseitig hinkte. Niemand hörte sein Jammern. Alle waren um sich bekümmert. Nur ich sah, wie die drei Mägde den einen Maulesel mit Bündeln und Küchenpfannen beluden. Auf dem anderen Esel saß die Libuschka: dem Feuer abgewandt, noch immer in ihre Pferdedecke gewickelt, in Ruhe, als sei nichts, die Hofköter winselnd bei Fuß.
    Birken jammerte, weil mit dem Gepäck der Jungen sein fleißig gefülltes Tagebuch auf dem Dachboden geblieben war. Der Verleger Endter vermißte einen Posten Bücher, den er in Braunschweig hatte absetzen wollen. Das Manifest! rief Rist. Wo ist? Wer hat? Dach stand mit leeren Händen. Zwischen den Gräten des Fischgerichtes war auf dem langen Tisch der Friedensaufruf der deutschen Poeten vergessen worden. Gegen jede Vernunft wollte Logau zurück in die Wirtsstube: Retten den Schrieb! Czepko mußte ihn halten. So blieb ungesagt, was doch nicht gehört worden wäre.
    Als das Dachgestühl des Brückenhofes in sich zusammenbrach und funkenstiebendes Gebälk mit glühenden Reetplacken in den Hof stürzte, rafften die versammelten Dichter und Verleger ihr Gepäck und flüchteten in die Planwagen. Um Lauremberg sorgte sich Schneuber. Harsdörffer half dem alten Weckherlin. Gryphius und Zesen, die noch immer in das Feuer vernarrt standen, mußten gerufen, gedrängt und der
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