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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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das Lederbeutelchen vor der Distel. Der alte Weckherlin stand auf, machte die paar Schritte mit Würde, nahm den Beutel und fand gelassen zu seinem Stuhl zurück. Niemand lachte. Noch war Gelnhausens Rede mächtig, die niemand abtun wollte. Schließlich sagte Dach ohne Übergang: Nachdem sich nun alles geklärt und gefunden habe, solle jetzt wieder fleißig gelesen werden, sonst laufe ihnen mit dem Stoffel der Morgen davon.
    20
    Auch mir tat es leid, Christoffel Gelnhausen mit seinen kaiserlichen Reitern und Musketieren abziehen zu sehen: er wieder im grünen Wams mit Federhut. Kein Goldknopf fehlte seiner Montur. Was alles geschehen war, nirgendwo hatte er Schaden genommen.
    Auch deshalb konnte zwischen ihm und der Wirtin Libuschka kein Wort der Versöhnung fallen. Unbewegt sah sie aus der Wirtshaustür zu, wie seine kleine Partei sattelte, einen der in Oesede requirierten Planwagen bespannte und (unter Mitnahme des in Bronze gegossenen knäbleinhohen Apoll) den Brückenhof verließ: Gelnhausen voran.
    Da ich seit damals mehr weiß, als die Libuschka, grau vor Haß, in der Wirtshaustür ahnen konnte, will ich für den Stoffel sprechen. Seine »Courasche«, annähernd ein Vierteljahrhundert nach seinem stummen Abschied von der Wirtin des Brückenhofes unter langem Titel – »Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung Der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche…« –, dabei verborgen hinter dem Namen Philarchus Grossus von Trommenheim, in Nürnberg gedruckt und von seinem Verleger Felßecker vertrieben, ist die späte Einlösung einstiger Racheschwüre. Weil der Autor des zwei Jahre zuvor gedruckten »Simplicissimus« seiner »Courasche« erlaubt, selber zu reden und mit sich abzurechnen, ist sein Buch zum papierenen Denkmal einer unsteten und zählebigen, kinderlosen, doch erfindungsreichen, hinfälligen und streitbaren, in Röcken mannstollen, in Hosen männischen, ihre Schönheit vernutzenden, erbärmlichen und liebenswerten Frau geraten, zumal der Urheber aller weiteren Simpliciaden, der sich gelegentlich Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen nannte, seiner »Courasche« Papier ließ, auch ihm, dem Simplex, kräftig auszuteilen; denn was Gelnhausen und die Libuschka wie Milch und Essig zusammenrührte, war zu starke Liebe: der Haß.
    Erst als das Kommando des kaiserlichen Regimentssekretärs schon über die äußere Emsbrücke unterwegs nach Warendorf (weiter nach Köln) und aus der Sicht der Wirtin war, versuchte ihre rechte Hand so etwas wie ein Winken, Nachwinken. Und auch ich hätte dem Stoffel nachwinken mögen, doch war es mir wichtiger, in der Großen Wirtsdiele, wo bedeutend die Distel stand, den letzten Lesungen der versammelten Poeten beizusitzen. Weil von Anfang an dabei, wollte ich auch den Schluß bezeugen. Nur nichts versäumen!
    Dort hatte man alle Unterbrechungen hinter sich. Daniel von Czepko, ein schlesischer Jurist und Rat der Herzöge von Brieg, dem seit seiner Straßburger Studentenzeit jene Gott und Menschen verschmelzende Mystik, die der Schuster Böhme entfacht hatte, ein mit Gleichmut verdecktes Flackern eingab, dieser verschlossene, kaum beachtete Mann, dessen Freund gerne ich gewesen wäre, las mehrere Sinngedichte, deren Form (paarweis laufende Alexandriner) auch Gryphius und Logau lag. Ähnlich hatte sich, vorerst noch roh und nicht bis zur letzten Klarheit der Widersprüche, der junge Scheffler versucht. Vielleicht weil der Breslauer Medizinstudent bei der anschließenden Kritik (wenn auch nur staunend) Czepkos »Anfang im Ende und Ende im Anfang« zu begreifen schien und weil am Vortag (neben Schütz) einzig Czepko aus des vortragenden Studenten Wirrnis den umfassenden Sinn gehört hatte, begann zwischen den beiden eine Freundschaft zu wirken, die selbst dann möglich blieb, als Scheffler katholisch zum Angelus Silesius wurde und seinen »Cherubinischen Wandersmann« in Druck gab, während Czepkos Hauptwerk, die gesammelten Epigramme, keinen Verleger fanden – oder der Autor hielt sie zurück.
    Und entsprechend der später ausbleibenden Wirkung nahmen nur wenige der versammelten Poeten von Czepkos Zweizeilern Notiz. Für so viel Stille fehlte es an Gehör. Einzig ein politisch anspielendes Gedicht, das Czepko als Fragment bezeichnete – »Wo Freyheit ist und Recht, da ist das Vaterland, Diß ist uns aber nun und wir ihm unbekannt…« –, fand breiterere Zustimmung. Nach Moscherosch und Rist war es wieder einmal der kleinwüchsige
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