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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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Gewißheit, ob sich der Chigi wahrhaftig die Widmung gewünscht habe, ob er sie so hätte wünschen können oder sollen, oder ob all dies nur dem Kopf des hier verklagten Stoffel als schönes Bild entsprungen sei. Wenn es den Herren, weil ohne Macht, im Reich an Ansehen fehle – was stimme! –, müsse man das fehlende Ansehen glaubhaft in Szene setzen. Seit wann seien denn die Herren Poeten so trocken auf platte Wahrheit versessen? Was mache sie linker Hand stumpfsinnig, wenn sie doch mit der Rechten geübt seien, ihre Wahrheiten wohlgereimt bis ins Unglaubliche zu erdichten? Werde denn das dichterische Lügen erst dann zur Wahrheit geadelt, wenn der Verleger es drucken lasse? Oder anders gefragt: Sei etwa der in Münster nun schon ins vierte Jahr betriebene Land- und Menschenschacher tatsächlicher oder gar wahrhaftiger als der hierorts, vor Telgtes Emstor eröffnete Handel mit Versfüßen bei reichhaltigem Wort-, Klang- und Bildertausch?
    Zuerst verschlossen, dann hier und dort mit unterdrücktem Gelächter, kopfschüttelnd, nachdenklich, kühl aufmerksam oder genießerisch wie Hoffmannswaldau, insgesamt betroffen hatte die Versammlung Gelnhausens Rede angehört. Dach zeigte vielfältigen Spaß angesichts der um ihn versammelten Verblüffung. Mit herausforderndem Blick traktierte er die schweigende Runde: Könne denn niemand diesen frechen Witz widerlegen?
    Nachdem sich Buchner zuerst mit lateinischem Zitat bei Herodot und Plautus aufgehalten hatte, schloß er, nun auch den Stoffel zitierend, mit einem: Es ist so! Worauf Logau bat, es genug sein zu lassen: Endlich wisse man, wer man sei. Solch genauen Spiegel hätten nur Narren parat.
    Damit gab sich Greflinger nicht zufrieden: Nein! Kein Narr, das einfache Volk, welches dieser Runde nicht beisitze, habe Wahrheit gesprochen. Ihm sei der Stoffel verwandt. Auch ihn, den rumgetriebenen Bauernbub, habe zuerst das Leben gewürfelt, bevor er an Büchern hätte riechen dürfen. Wenn irgendwer den Stoffel rausschmeißen wolle, dann gehe auch er.
    Schließlich sagte Harsdörffer: So genarrt, wisse er endlich, was über die Eitelkeit zu schreiben sei. Es möge der Bruder Gelnhausen bitte bleiben und ihnen allen noch mehr widrige Wahrheiten trichtern.
    Doch da stand der Stoffel schon wie zum Abschied im Fenster: Neinnein. Er müsse nun wieder dem Mars ins Geschirr. Das Münstersche Stift habe ihn mit Botschaft beladen, die er nach Kur-Köln und weiter tragen solle. Lauter teure Geheimnisse wie dieses: Neunhunderttausend Taler müsse das Stift, wenn Frieden werde, an Satisfaktion zahlen, damit die Hessen aus Coesfeld, der Schwed aus Vechta und die Oranier aus Bevergern abzögen. Dieser Krieg verspreche noch lange zu kosten. Er jedoch wolle sich mit dem kostenlosen Versprechen entheben: Der Stoffel komme wieder, bestimmt! Zwar möge Jahr nach Jahr gehen und noch ein Jahr, bis er sein Wissen aufgeputzt, sich in Harsdörffers Quellen gebadet, an Moscheroschs Handwerk geschult und etlichen Traktaten die Regeln abgeguckt habe, aber dann werde er da sein: höchst lebendig in viel bedrucktem Papier versteckt. Doch wolle niemand von ihm vertändelte Schäfereien, übliche Leichabdankungen, verzwackte Figurenpoeme, zierliches Seelgewimmer oder Bravgereimtes für die Kirchgemeinde erwarten. Eher werde er den großen Sack aufmachen, den gefangenen Stunk freisetzen, des Kronos Parteigänger sein, den langen Krieg als Wortgemetzel neuerdings eröffnen, alsdann ein entsetzliches Gelächter auffliegen lassen und der Sprache den Freipaß geben, damit sie laufe, wie sie gewachsen sei: grob und leisgestimmt, heil und verletzt, hier angewelscht, dort maulhenckolisch, immer aber dem Leben und seinen Fässern abgezapft. Schreiben wolle er! Beim Jupiter, Merkur und Apoll!
    Damit nahm sich Gelnhausen aus dem Fenster. Doch, schon im Garten, kam er noch einmal mit letzter Wahrheit. Aus seinem Hosensack zog er ein Beutelchen, ließ es zweimal in der Hand springen, machte so seinen silbrigen Inhalt bekannt. Er lachte kurz und sagte, bevor er den Beutel durchs Fenster in die Große Diele knapp vor die Distel warf: Eine kleine Fundsache sei noch zu deponieren. Einer der Herren habe sein Beutelchen im Bett der Courage vergessen. So lustvoll es bei der Wirtin des Brückenhofes zugehe, überzahlen solle niemand den kurzen Spaß.
    Erst jetzt war er ganz und gar weg. Gelnhausen ließ die versammelten Poeten mit sich allein. Schon vermißten wir ihn. Von draußen her heiserten nur noch die Maulesel. Prall lag
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