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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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und wir, seine gegenwärtigen Freunde, sind mit ihm alle aschgrau von dazumal.
    Lauremberg und Greflinger kamen von Jütland hoch, von Regensburg runter zu Fuß, die anderen beritten oder in Planwagen. Wie einige flußab segelten, nahm der alte Weckherlin von London nach Bremen den Schiffsweg. Sie reisten von nah und fern, aus allen Gegenden an. Ein Kaufmann, dem Frist und Datum geläufig wie Gewinn und Verlust sind, hätte erstaunen können über den pünktlichen Eifer der Männer des bloßen Wortgeschehens, zumal die Städte und Ländereien noch immer oder schon wieder verwüstet, mit Nesseln und Disteln verkrautet, von Pestilenz zersiedelt und alle Wege unsicher waren.
    Deshalb erreichten Moscherosch und Schneuber, die von Straßburg her die Reise gemacht hatten, ausgeraubt (bis auf ihre den Wegelagerern nichtsnutzen Manuskripttaschen) das abgesprochene Ziel: Moscherosch lachend und um eine Satire reicher; Schneuber jammernd und schon die Schrecken des Rückweges vor Augen. (Sein Arsch war wund von Schlägen mit flacher Klinge.)
    Nur weil sich Czepko, Logau, Hoffmannswaldau und weitere Schlesier, mit einem Begleitbrief Wrangels gesichert, immer wieder schwedischen Abteilungen angeschlossen hatten, die bis ins Westfälische fouragierten, kamen sie ungeschmälert nahe Osnabrück an; doch widerfuhren ihnen die täglichen Greuel des Fouragierens, bei denen kein armer Teufel nach seiner Konfession gefragt wurde, wie am eigenen Leib. Einsprüche hielten Wrangels Reiter nicht auf. Fast hätte es den Studenten Scheffler (eine Entdeckung Czepkos) in der Lausitz erwischt, weil er sich vor eine Bäuerin gestellt hatte, die, wie zuvor der Bauer, vor den Augen ihrer Kinder gepfählt werden sollte.
    Johann Rist kam vom nahen Wedel an der Elbe über Hamburg gereist. Den Straßburger Verleger Mülben hatte ein Reisewagen von Lüneburg gebracht. Zwar den weitesten Weg, vom Königsbergschen Kneiphof her, doch den sichersten, weil im Gefolge seines Landesfürsten, nahm Simon Dach, dessen Einladungen diesen Aufwand ausgelöst hatten. Schon im Vorjahr, als Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit Louise von Oranien verlobt wurde und Dach sein für diesen Anlaß gereimtes Huldigungspoem in Amsterdam hatte vortragen dürfen, waren die vielen einladenden und den Treffpunkt beschreibenden Briefe geschrieben und war, mit Hilfe des Kurfürsten, für deren Zustellung gesorgt worden. (Oft mußten die überall tätigen Agenten als Zwischenträger die Post übernehmen.) So kam Gryphius zu seiner Einladung, obgleich er mit dem Stettiner Kaufmann Wilhelm Schlegel seit einem Jahr in Italien, danach in Frankreich unterwegs gewesen war; schon auf der Rückreise (und zwar in Speyer) wurde ihm Dachs Brief zugestellt. Pünktlich reiste er an und brachte Schlegel mit.
    Pünktlich kam der Sprachmagister Augustus Buchner von Wittenberg her. Nachdem er mehrmals abgesagt hatte, war Paul Gerhardt dennoch pünktlich am Ort. Filip Zesen, den die Post in Hamburg einholte, reiste von Amsterdam mit seinem Verleger an. Keiner wollte fernbleiben. Nichts, kein Schul-, Staats- oder Hofdienst, der den meisten anhing, konnte sie abhalten. Wem es an Reisegeld fehlte, der hatte sich einen Gönner gesucht. Wer, wie Greflinger, keinen Gönner gefunden hatte, den trug Eigensinn zum Ziel. Und wen sein Eigensinn hindern wollte, rechtzeitig aufzubrechen, den machte die Nachricht, daß andere schon unterwegs seien, reiselustig. Selbst die sich feindlich sahen, wie Zesen und Rist, wollten einander treffen. Unstillbarer noch als sein Spott über versammelte Poeten war Logaus Neugierde auf das Treffen. Ihre heimischen Zirkel faßten zu eng. Kein langwieriges Geschäft, keine kurzweilige Liebe konnte sie binden. Es trieb sie zueinander. Überdies nahm, während der Frieden ausgehandelt wurde, allgemein die Unruhe, das Suchen zu. Niemand wollte für sich bleiben.
    Doch so ausgehungert auf literarische Wechselworte die Herren Dachs Einladung gefolgt waren, so rasch verfielen sie der Mutlosigkeit, als sich in Oesede, einem Flecken nahe Osnabrück, wo das Treffen stattfinden sollte, kein Quartier fand. Das von Dach vorgesehene Gasthaus »Zum Rappenhof« war, trotz rechtzeitiger Anmietung, vom Stab des schwedischen Kriegsrates Erskein belegt worden, der kürzlich die Satisfaktions-Forderungen der Wrangelschen Armeen an den Kongreß herangetragen und dem Frieden neue Kosten auferlegt hatte. Wenn die Kammern nicht von Regimentssekretären und Königsmarckschen Obristen bezogen waren, hatte
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