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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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man sie mit Akten vollgestellt. Der große Wirtssaal, in dem man eigentlich hatte tagen, das ersehnte Gespräch führen, sich aus Manuskripten vorlesen wollen, war zum Proviantlager gemacht worden. Überall lungerten Reiter und Musketiere. Kuriere gingen ab, kamen. Erskein ließ sich nicht sprechen. Ein Profos, dem Dach seine schriftliche Anmietung des Rappenhofes vorwies, verfiel ringsum ansteckendem Gelächter, als aus schwedischer Kasse die Erstattung der Anzahlung erbeten wurde. Schroff abgewiesen kam Dach zurück. Die starken Dummen. Ihre gepanzerte Leere. Ihr ödes Grinsen. Keinem der schwedischen Herren waren ihre Namen bekannt. Allenfalls Rast halten durfte man in der kleinen Gaststube. Der Wirt riet den Poeten, ins Oldenburgische zu reisen, wo alles, sogar Quartier, zu haben sei.
    Schon erwogen die Schlesier, weiter nach Hamburg, Gerhardt zurück nach Berlin, Moscherosch und Schneuber mit Rist nach Holstein zu ziehen, schon wollte Weckherlin das nächste Schiff nach London nehmen, schon drohten die meisten, nicht ohne Anklage gegen Dach, das Treffen auffliegen zu lassen, schon begann Dach – sonst die Ruhe selbst – an seinem Vorhaben zu zweifeln, schon stand man mit dem Gepäck auf der Straße und wußte nicht, wohin mit sich, da kamen – zeitig genug, bevor es eindunkelte – die Nürnberger angereist: Harsdörffer mit seinem Verleger Endter und der junge Birken; es begleitet sie ein rotbärtiger Kerl, der sich Christoffel Gelnhausen nannte und dessen schlaksiger Jugendlichkeit – er mochte Mitte Zwanzig sein – ein blattriges Gesicht widersprach. In seinem grünen Wams unterm Federbuschhut wirkte er wie erfunden. Jemand sagte: Den hätten die Mansfeldschen im Vorüberreiten gezeugt. – Doch zeigte sich, daß Gelnhausen wirklicher war als seine Erscheinung. Ihm unterstand ein Kommando kaiserlicher Reiter und Musketiere, das am Ortsrand lagerte, weil der Umkreis der Friedenskongreßstädte als neutral erklärt und in ihm jede Kampfhandlung der Parteien untersagt worden war.
    Als Dach den Nürnbergern die Misere der Poeten erklärt hatte und Gelnhausen sofort in weitschweifiger, mit Bildern geputzter Rede seine Dienste anbot, nahm Harsdörffer Dach beiseite: Der Kerl spreche zwar närrisch wie ein reisender Sterndeuter daher – er hatte sich der Versammlung als Jupiters Liebling vorgestellt, dem Venus, wie man sehe, im Welschland heimgezahlt habe, – sei aber doch mit Witz ausgestattet und belesener als sein Närrischtun erkennen lasse. Im übrigen diene der Kerl im Schauenburgschen Regiment, das in Offenburg seinen Standort habe, als Kanzleisekretär. In Köln, wohin sie von Würzburg her per Schiff gereist seien, habe ihnen der Gelnhausen aus Schwierigkeiten geholfen, als Endter versuchen wollte, ohne Permission einen Posten Bücher als »wilde Läufer« umzusetzen. Zum Glück sei es dem Gelnhausen gelungen, sie aus dem pfäffischen Verdacht »ketzerischer Umtriebe« herauszureden. Der lüge bessere Mär, als sich erdichten lasse. Dessen Schwall mache Jesuiten verstummen. Dem seien die Kirchenväter, aber auch alle Götter und deren Gestirn zur Hand. Der kenne des Lebens Unterfutter und wisse sich obendrein überall ortskundig: in Köln, Recklinghausen wie in Soest. Der könne ihnen womöglich helfen.
    Gerhardt warnte davor, sich mit dem Kaiserlichen einzulassen. Hoffmannswaldau stand verwundert, weil der Kerl grad vorhin noch aus der Opitzschen Übersetzung der »Arkadia« zitiert habe. Moscherosch und Rist wollten sich die Vorschläge des Regimentssekretärs immerhin anhören, zumal der Straßburger Schneuber einige städtisch betriebsame Einzelheiten des Offenburger Standortes erfragt und mit Badstubenklatsch bestätigt bekommen hatte.
    Schließlich durfte sich Gelnhausen den endlich versammelten, doch nun verzweifelt quartierlosen Herren erklären. Seine Rede war so glaubwürdig wie der Glanz jener Goldknöpfe, die sich auf seinem Grünwams doppelt reihten: Er müsse als Vetter des Merkurius, deshalb geschäftig wie dieser, ohnehin nach Münster, um im Auftrag seines Herrn, der als Obrist dem Mars im Geschirr stehe, geheime Nachricht dem Herrn Trauttmannsdorff zu bringen, den als des Kaisers Oberunterhändler der säuerliche Saturn mit Weisheit gemästet habe, auf daß endlich Frieden werde. Keine dreißig Meilen Wegs sei die Mühsal lang. Bei annähernd vollem Mond. Und zwar durch flache Gegend. Da komme man, wenn die Herren nicht ins pfäffische Münster wollten, durch Telgte, ein trauliches
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