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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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der deutschen, überall betriebsamen Poeterei.
    Doch weil Dach wußte, wie sehr man den ganzen Baum rauschen hören wollte, und weil ihm sein Name ein Wortspiel wert war, sprach er einleitend, als sich am frühen Nachmittag die weitgereisten Herren ausgeschlafen oder ihres Rausches ledig in der Großen Wirtsdiele versammelt hatte, mal heiter, mal nachdenklich – wie es seine Art war – in diesem Sinne: »Wollen wir nun, liebwerte Freunde, in meinem Namen – denn ich habe euch geladen – wie unter einem Dache beisammen sein, auf daß jeder nach seinem Vermögen beitrage vnd so, weil am Ende alles zusammen klinget, die pegnesische, fruchtbringende vnd aufrichtige Kürbislauben- vnd Tannengesellschaft deutschsinnig entstehen lassen, damit im siebenundvierzigsten Jahr vnseres leidversessenen Jahrhunderts über allem langwierigen Friedensgerede, bei anhaltendem Feldgeschrei, auch vnsere Stimme, die bisher im Winkel blieb, hörbar werde; denn was wir zu sagen haben, ist nicht angewelschtes Geschwätz, sondern von vnserer Sprache: Wo laß ich, Deutschland, dich? Du bist durch Beut vnd morden bald dreissig Jahr her nun dein Hencker selbst geworden…«
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    Diese gereimten Zeilen sagte Dach aus seinem kürzlich abgeschlossenen, aber noch nicht in Druck gegebenen Gedicht, das über den Untergang jener Kürbishütte klagend Bericht gab, die auf der Insel Lomse Ort der Königsberger Poeten gewesen war und dem Bau einer Handelsstraße hatte weichen müssen; ihr zum Andenken hatte der Domorganist Heinrich Albert eine Musik geschrieben und in drei Stimmen gesetzt.
    Weil der Vers aufmerken ließ, drängten Hoffmannswaldau, Rist, Czepko und andere den Autor, die ganze Klage vorzutragen, was Dach erst später, am dritten Lesetag tat. Mit eigener Produktion wollte er das Treffen nicht eröffnen. Auch weitere einleitende Reden ließ er nicht zu. (Zesen wollte sich grundsätzlich zu seiner Deutschgesinnten Genossenschaft und deren Gliederung in Zünfte äußern. Rist hätte sofort eine Gegenrede vorzutragen gehabt, ging er doch damals schon mit seiner späteren Gründung des Elbschwanenordens um.)
    Vielmehr bat Simon Dach den frommen Paul Gerhardt, um dessen Fremdheit ein wenig aufzuheben, für alle ein Gebet um günstigen Verlauf des Treffens zu sprechen. Gerhardt besorgte das stehend mit altlutherischem Ernst und nicht ohne Androhung von Verdammnis für anwesende Irrläufer; er mochte die schlesischen Mystiker oder etwaige Calvinisten meinen.
    Indem er die Stille nach dem Gebet knapp hielt, rief Dach dann die »Vielgeehrten Freunde« auf, jener Poeten zu gedenken, deren Platz hier, zwischen ihnen wäre, wenn sie der Tod nicht gerafft hätte. Er zählte feierlich – worauf sich alle erhoben – »die vns zu früh Abgeschiedenen« auf, nannte Opitz zuerst, dann Fleming, darauf den politischen Mentor seiner Generation, den Ireniker Lingelsheim, danach Zincgref, und überraschte die Versammlung – schon wollte sich Gryphius in Unmut eindüstern –, als des Jesuiten Spee von Langenfeld gedacht werden sollte.
    Zwar war vielen Anwesenden vertraut (und nachahmend geläufig) was als Jesuitentheater Schule gemacht hatte, zwar waren dem Studenten Gryphius die lateinischen Oden des Jesuiten Jakob Balde etliche »Verteutschungen« wert gewesen, zwar hatte sich Gelnhausen, den niemand außer Harsdörffer (und Greflinger) der Gesellschaft zurechnen wollte, als katholisch ausgegeben – und keiner nahm daran Anstoß –, aber die Totenehrung für Spee war einigen der protestantischen Herren, selbst wenn sie sich dem Dachschen Toleranzgebot beugen wollten, eine Zumutung. Sie hätte lauten Protest oder stumme Abwendung zur Folge gehabt, wäre nicht Hoffmannswaldau dem nun streng blickenden und die erregte Versammlung zwingenden Dach beigesprungen, indem er zuerst aus Spees Trutznachtigall, die nicht ausgedruckt, aber in Abschriften in Umlauf war, den »Bußgesang eines recht zerknirschten Herzens« zitierte: »Wann Abends uns die braune Nacht In Schatten schwarz verkleidet…«, um dann freiheraus, als trüge er das lateinische Original in sich, aus der »Cautio Criminalis«, Spees Anklageschrift gegen Inquisition und Tortur, etliche Fakten vorzutragen, denen Thesen folgten; worauf er des Jesuiten Mut lobte und herausfordernd allseits (Gryphius direkt ins Gesicht) fragte, wer unter ihnen, wie Spee im finsteren Würzburg, an die zweihundert Weiber unter der Folter erbärmlich gesehen, nach vor Pein tollem Geständnis tröstend zum Holzstoß
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