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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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setzte.
    Wach blieb auch Simon Dach. Er lag in seiner Kammer und zählte noch einmal auf, wen er mit Briefen gerufen, unterwegs beredet, mit und ohne Absicht vergessen, auf Empfehlung in seine Liste genommen oder zurückgewiesen hatte, und wer noch nicht eingetroffen war: sein Freund Albert, für den das zweite Bett in der Kammer bereit stand.
    Schlafvertreibende, schläfrig machende Sorgen: Vielleicht würde Schottel doch kommen? (Der Wolfenbütteler kam aber nicht, weil Buchner eingeladen war.) Den Klaj hatten die Nürnberger mit Krankheit entschuldigt. Wehe, wenn Rompler doch käme. Ob mit der Ankunft des Fürsten Ludwig zu rechnen war? (Doch das Haupt der Fruchtbringenden Gesellschaft blieb beleidigt in Köthen: Dach, der nicht zu den Mitgliedern des Palmenordens gehörte und sich betont als Bürger gab, war dem Fürsten zuwider.)
    Wie gut, daß sie in Oesedes Rappenhof Nachricht hinterlassen hatten, wo man sich anderenorts aus gleichem Anlaß, der so arg gebeutelten Sprache wegen und um dem Friedenshandel nah zu sein, versammeln werde. Dort wolle man tagen, bis alles, die Not und das Glück der Poeterei wie das Elend des Vaterlandes, besprochen sei.
    Es werde ihnen Opitz fehlen und Fleming. Ob es gelingen könne, die Theorie kleinzuhalten? Und ob sonst noch wer komme, uneingeladen? Darüber sinnend und seine Frau Regina leiblich herbeisehnend, glitt Dach in den Schlaf.
    3
    Oder er schrieb noch an seine Regina, geborene Pohl, die überall auf dem Kneiphof oder von den Studenten der Akademie, im Kreis seiner Freunde Albert, Blum, Roberthin und selbst vom Kurfürsten die Pohlin oder Dachs Pohlin genannt wurde. Sein anfangs verzweifelter, dann über die Umstände der Quartiersuche belustigter, zum Schluß den Verlauf des Treffens Gottes Rat und Güte empfehlender Brief sollte in Königsberg Bericht geben, ohne nach dem tieferen Sinn des Geschehens zu fragen: Wie grob ihnen der Schwed in Oesede die Tür gewiesen; wie Gelnhausen, den man Christoffel oder Stoffel nenne, vier bespannte Planwagen aus dem Fuhrpark der protestantischen Stände requiriert habe; wie man bei Nacht und zunehmendem Mond hinter den Pechfackeln der Kaiserlichen Reiter, doch verschont von ferngrollenden Gewittern, den gefurchten Weg in Richtung Münster nach Telgte genommen; wie unterwegs schon der Moscherosch mit Greflinger und Lauremberg Brandwein zu saufen, Gassenhauer zu grölen und den allzeit würdigen Gerhardt zu hänseln begonnen hätten; wie aber Czepko und der alte Weckherlin dem Empfindsamen beherzt beigesprungen seien, so daß sie den Rest des Weges, zumindest in drei der vier Planwagen, mit geistigem Gesang genommen hätten, wobei Gerhardts jüngst ausgedrucktes Strophenlied »Nun ruhen alle Wälder – Vieh Menschen Stadt und Felder – es schläft die gantze Welt…« sogar die Saufbrüder mitgerissen habe; und wie die meisten, der rundum feist gewordene Gryphius an seiner Seite, überm Singen in Schlaf gefallen seien, so daß am Ziel ihrer Reise der freche Handel des Gelnhausen, der ihrer Gesellschaft beredt, bis daß man’s hätte riechen können, die Pest angedichtet habe, nicht oder zu spät zu bemerken gewesen sei; und wie man trotz oder wegen der verfluchten und doch – wie ers für sich täte – zu belächelnden Unmoral ins Bett gefunden: die einen lachend über die ängstliche Hast der flüchtenden Pfeffersäcke und den schaurigen Witz noch begießend, die anderen leise den Herrgott um Vergebung bittend, aber alle doch müde genug, damit kein Streit zwischen den schlesischen Herren, den Nürnbergern und den Straßburgern habe ausbrechen und das Treffen nochmals gefährden können. Nur zwischen Rist und Zesen blitze es wie erwartet. Hingegen verspreche Buchner, weil Schottel nicht komme, mäßig zu bleiben. Die Schlesier hätten einen verängstigten Studenten mitgebracht. Hoffmannswaldau gebe sich überhaupt nicht wie ein adlig Söhnchen. Alle, bis auf Rist, der das Predigen nicht lassen könne, und Gerhardt, dem das literarische Treiben fremd sei, zeigten freundlichen Sinn füreinander. Sogar der Hurenhirt Greflinger füge sich und habe ihm, auf die Untreue seiner Flora schwörend, leidlichen Anstand versprochen. Allenfalls sei von Schneuber, den er mit Mißtrauen sehe, Hinterhältiges zu erwarten. Doch werde er notfalls den Haufen streng halten. Abgesehen von den Saufköppen in der Wirtsstube und ihm, der an seine Pohlin denke, sei jetzt nur noch jene doppelte und überdies kaiserliche Wache ohne Schlaf, die der
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