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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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Gelnhausen, ihnen zum Schutz, vor dem Brückenhof habe aufziehen lassen. Die Wirtin, zwar ein Luder, zeige sich übrigens als außergewöhnliche Person, die fließend mit Gryphius italienisch parliere, dem Magister Buchner sogar in Latein zurückgezahlt habe und im Literarischen wie eine Füchsin im Gänsestall bewandert sei. So füge sich alles merkwürdig, als folge man höherem Plan. Einzig der pfäffische Ort sei ihm nicht geheuer. Man vermute in Telgte heimliche Treffen der Wiedertäufer. Der Geist des Knipperdolling gehe hier noch immer um. Unheimlich mute die Gegend an, doch offenbar geeignet für Zusammenkünfte.
    Was Simon Dach sonst noch seiner Pohlin schrieb, will ich den beiden lassen. Nur seine letzten, schlafbringenden Gedanken sind mir zur Hand: sie kreisten um das Für und Wider, waren dem Geschehen hinterdrein und voraus, ließen Personen auf- und abtreten, wiederholten sich. Ich will sie ordnen.
    Dach hatte keine Zweifel an der Nützlichkeit des so lange vorbereiteten Treffens. Es waren, solange der Krieg schon dauerte, versammelnde Wünsche mehr geseufzt als geplant worden. Hatte ihm doch Opitz, noch kurz vor seinem Tod solche Zusammenkunft bedenkend, aus seiner Danziger Zuflucht geschrieben: »Ein treff allmöglicher Poeten, in Breslaw oder im Preußenland, sollt vnsere sach einig machen, derweil das Vaterland zerrissen…«
    Doch keiner, selbst Opitz nicht, wäre bei den verstreuten Dichtern so wohlgelitten gewesen wie Dach, dessen breitgelagertes Gemüt mit rundum verschenkter Wärme den Kreis eines solchen Treffens geräumig genug machte, um einen streunenden Einzelgänger wie Greflinger, den adligen Schöngeist Hoffmannswaldau, den unliterarischen Gerhardt aufzunehmen – und doch bemessen hielt; denn das fürstliche Gönnergeschrantz, dem nur an Huldigungspoemen und vorbestellten Trauercarmina gelegen war, blieb ohne Einladung. Selbst seinem Fürsten, der etliche Dach-Liedchen auswendig hersagen konnte und der der allgemeinen Reisekasse zugeschossen hatte, war Dach mit der Bitte gekommen, wohlwollend außen zu bleiben.
    Zwar hatten etliche Herren (Buchner und Hoffmannswaldau) geraten, den Friedensschluß abzuwarten oder abseits des noch immer wütenden Kriegsgeschehens – etwa im polnischen Lissa oder im heilen Gehege der Schweiz – zu tagen, zwar wollte sich Zesen mit seiner Anfang der vierziger Jahre in Hamburg gegründeten Deutschgesinnten Genossenschaft in Konkurrenz begeben und mit Romplers Aufrichtiger Tannengesellschaft ein Gegentreffen planen, aber die Beharrlichkeit Dachs und sein politischer Wille gaben den Ausschlag: in seiner Jugend hatte er (unter Opitz’ Einfluß) mit Grotius, Bernegger und den Heidelbergern um Lingelsheim korrespondiert, weshalb er sich seitdem, wenn auch nicht diplomatisierend tätig, wie vormals Opitz und Weckherlin immer noch, als »Ireniker«, das heißt Friedensmann, begriff. Trotz Zesen, der nachgab, und gegen die Intrigen des Straßburger Magisters Rompler, der nicht eingeladen wurde, setzte sich Simon Dach durch: im siebenundvierzigsten Jahr, als nach neunundzwanzig Kriegsjahren der Frieden noch immer nicht ausgehandelt war, sollte zwischen Münster und Osnabrück das Treffen stattfinden, sei es, um dem zuletzt verbliebenen Band, der deutschen Hauptsprache, neuen Wert zu geben, sei es, um – wenn auch vom Rande her nur – ein politisches Wörtchen mitzureden.
    Schließlich war man wer. Wo alles wüst lag, glänzten einzig die Wörter. Und wo sich die Fürsten erniedrigt hatten, fiel den Dichtern Ansehen zu. Ihnen, und nicht den Mächtigen, war Unsterblichkeit sicher.
    Simon Dach jedenfalls war, wenn nicht seiner, dann der Versammlung Bedeutung gewiß. Hatte er doch im Kleinen – und weitab vom Schuß, wie man in Königsberg sagte – Poeten und Kunstfreunde um sich versammelt. Nicht nur in der Magistergasse, wo er dank eines Kneiphöfischen Beschlusses lebenslang Wohnung hatte, auch in des Domorganisten Heinrich Albert Sommergärtchen auf der Pregelinsel Lomse war man zusammengekommen, um sich vorzulesen, was zumeist bei Gelegenheit oder im Auftrag sein Versmaß gefunden hatte: die üblichen Hochzeitsgedichte und Liedchen, die Albert in Musik setzte. Kürbishüttengesellschaft nannten sich die Freunde im Scherz, wissend, daß man im Vergleich mit anderen Gesellschaften, etwa mit dem Fruchtbringenden Palmenorden oder der Aufrichtigen Tannengesellschaft der Straßburger, selbst mit den Nürnberger Pegnitz-Schäfern, nur ein Zweiglein war im Geäst
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