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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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Deshalb werde er, im Gegensatz zu anderen Sprachmagistern, seine Lektionen nicht in Druck geben.
    Danach rief Dach Sigmund Birken auf, einen Jüngling, dessen Haar mit immer neubelebtem Einfall bis über die Schultern lockte. Zu Kindsaugen glänzte im runden Gesicht ein feuchter Schmollmund. Man mochte sich wundern, daß soviel Schönheit der Theorie bedurfte.
    Als Birken aus dem Manuskript seiner »Teutschen Redebind und Dicht-Kunst« das zwölfte Kapitel und daraus Regeln für die Schauspieler vorgetragen hatte, nach denen der Autor jeder Person anständige Rede in den Mund zu legen hätte: »… maßen die Kinder kindisch, die Alten verständig, die Frauenpersonen züchtig und zärtlich, die Helden dapfer und heroisch, die Bauern grob reden sollten…«, fielen Greflinger und Lauremberg über ihn her: Da komme nur Langeweile raus! Das sei typisch für die Pegnitzerei! Da wehe immer nur laue Luft! Moscherosch höhnte: In welcher Zeit der junge Fant eigentlich lebe!
    Eher halbherzig versuchte Harsdörffer seinem Schützling zu helfen: Ähnliche Rollenzucht lasse sich in der Antike nachweisen. Gerhardt lobte Birkens Regel, nach der alles Schaurige nicht nackt gezeigt, sondern allenfalls durch Bericht kundgetan werden dürfe. Gryphius, dem Arbeit an Tragödien nachgesagt wurde, schwieg dennoch. Und Buchners Schweigen dröhnte vernichtend.
    Da meldete sich Gelnhausen. Nicht mehr im grünen Wams mit Goldknöpfen prahlend, sondern (wie Greflinger) in Pluderhosen soldatisch gekleidet, saß er auf einer der Fensterbänke und hampelte ungeduldig, bis Dach ihn reden ließ. Der Stoffel sagte: Er wolle nur anmerken, daß nach seinem kreuzqueren Wissen often die Alten kindisch und die Kinder verständig, die Frauenpersonen grob, die Bauern züchtig und die ihm bekannten dapferen Helden, selbst wenn’s ans Sterben ginge, lästerlich redeten. Zärtlich habe zu ihm, mit Vorzug an Kreuzwegen, nur der Teufel gesprochen. Worauf der Regimentssekretär aus dem Stegreif alle angeführten Personen miteinander, zum Schluß den Höllenfürsten parlieren ließ.
    Selbst Gryphius lachte. Und versöhnlich schloß Dach den Disput, indem er die Runde fragte, ob es denn ratsam sei, auch noch auf dem Theater, wo doch das Leben dererlei täglich biete, Blutrunst zu zeigen und dabei Unflat reden zu lassen? Ihm wolle des jungen Birken Regel einleuchten, wenn sie nicht allzu starren Gebrauch finde.
    Dann rief er Hans Michael Moscherosch auf, dessen Sprachsatire aus dem ersten Teil seiner »Gesichte Philanders von Sittewald«, obgleich schon ausgedruckt und weitbekannt, dennoch Vergnügen bereitete, besonders das Spottliedchen:
    »Fast jeder Schneider will jetzund leyder
    Der Sprach erfahren sein vnd redt Latein:
Wälsch vnd Frantzösisch Wan er ist doll vnd voll halb Japonesisch der grobe Knoll…«
    Das entsprach dem allgemeinen Ärger über die Verhunzung der deutschen Sprache, deren gefühligem Grund die welschen und schwedischen Feldzüge ihre Huf- und Radspuren gekerbt hatten.
    Als von der Tür her die Wirtin Libuschka dazwischenrief, ob den Signores ein Boccolino Rouge pläsiere, antwortete man ihr in allen landläufigen Fremdsprachen. Jeder, sogar Gerhardt, bewies sich als Meister der Kauderwelsch-Parodie. Und Moscherosch, ein einerseits handfester Kerl, der gern als erster seine Scherze belachte, doch andererseits zum Tiefsinn neigte und als »Der Träumende« dem Palmenorden angehörte, gab weitere Proben seiner satirischen Werkstatt. Er zauste Reimzwänge und schäferliche Umschreibungskünste. Ohne Namen zu nennen, teilte er gegen die Pegnitzer aus. Sich selbst nannte er mehrmals »gutdeutsch«, wenn zwar sein Name maurischen Ursprungs sei. Das sage er allen, die vorhätten, sich auf »Sud« einen Reim zu machen. (Der Restposten Wein übrigens, den die Wirtin von ihren Mägden austragen ließ, war spanischer Herkunft.)
    Dann las Harsdörffer aus dem grad ausgedruckten ersten Teil seines »Poetischen Trichters« etliche Anweisungen, wie man seinen Schnellkurs für zukünftige Dichter am klügsten durchlaufe – »Schlüßlich müssen die sechs Stunden nicht eben auf einen Tag nacheinander genommen…« – um dann mit kurzem, vom Manuskript gelesenen Lob: Es könne »die teutsche Sprache« mehr als jede Fremdsprache Laut und Geräusch jeglicher Kreatur nachahmen, denn sie »… swiere wie die Schwalbe, kracke wie der Rab, silcke wie der Sperling, lisple und wisple mit den Bächen…« allgemein zu gefallen.
    Zwar hätten wir nie miteinander
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