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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
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Magister Buchner, der sich straffte, um dann aus den wenigen Zeilen eine wüste und gleichwohl nach Harmonie hungernde Welt zu deuten, wobei er Augustinus, Erasmus und immer wieder sich selbst zitierte. Am Ende fand die Rede des Magisters mehr Beifall als Czepkos am Rande gepriesenes Gedicht. (Als schon der Autor den Schemel neben der Distel geräumt hatte, gefiel sich Buchner noch immer freiredend.)
    Danach nahm vorne jemand Platz, der hager langgliedrig nicht wußte, wohin mit seinen Beinen. Es verwunderte allgemein, daß sich Hofmann von Hoffmannswaldau, der bis dahin mit keiner Veröffentlichung hervorgetreten war und als bloßer Liebhaber der Literatur galt, zur Lesung bereit erklärt hatte. Selbst Gryphius, der den vermögenden Adligen seit gemeinsamen Studentenjahren in Danzig und Leyden kannte – er hatte den eher passiven Schöngeist zum Schreiben ermuntert –, schien erstaunt und erschrocken, als Hoffmannswaldau zum Vortrag drängte.
    Witzig überspielte er seine Verlegenheit. Er entschuldigte sich für seine Anmaßung, zwischen Dach und Distel sitzen zu wollen aber es jucke ihn, seine Versuche der Kritik vorzuwerfen. Dann überraschte er die Versammlung mit einer im Deutschen neuen, von Ovid herrührenden und gegenwärtig nur im Ausland geübten Form, indem er sogenannte Heldenbriefe las, die er mit einer Erzählung einleitete: »Liebe und Lebenslauff Peter Abelards und Heloißen«.
    Darin geht es um einen jungen, ehrgeizigen Gelehrten, der sich in Paris vielen Professorenintrigen ausgesetzt sieht und deshalb mehrmals in die Provinz flüchten muß. Wieder zurück in Paris, sticht er sogar den berühmten Schriftgelehrten Anselmes aus, wird zum Liebling der Stadt, gibt schließlich, auf Wunsch eines gewissen Folbert, dessen Nichte Privatunterricht, bleibt aber nicht beim Latein, sondern vergafft sich in seine Schülerin, die sich in ihren Lehrer vergafft. »Mit einem Worte sie waren unfleissig auf eine andere Arth fleissig zu werden…« Diesen Unterricht setzen die beiden fort, bis sie »gelehrt buhlen« können, was auch anschlägt. Mit der schwangeren Schülerin reist der Lehrer zu seiner Schwester in die Bretagne, wo sie mit einem Sohn niederkommt. Obgleich die junge Mutter nicht geehelicht werden will und dringlich beteuert »…daß es Ihr annehmlicher seyn solte seine Freundin als seine Ehefrau genennet zu werden…«, besteht der Lehrer auf einer schlichten Hochzeit, die, während das Kind bei der Schwester bleibt, in Paris stattfindet. Weil aber der Onkel Folbert die Verehelichung seiner Nichte anfeindet, versteckt der Ehemann seine Schülerin und Frau in einem Kloster nahe Paris; worauf Folbert, wütend über die Flucht der Nichte, Abelards Knecht mit Geld besticht »…bey nächtlicher Zeit seines Herren Schlafgemach zu eröfnen, durch dazu gleichfalls erkaufte Personen in seiner Ruh zu überfallen und zu entmannen…«, was unwiderruflich geschieht.
    Und um diesen Verlust des Buhlwerkzeugs geht es in den anschließenden zwei Briefen, die, nach verfeinerter Opitzscher Manier, in kreuzgereimten Alexandrinern laufen und das Schauerliche, bisher Niegehörte galant umschreiben: »Ich meint auf heiser Glut wie auf den Thau zu lachen, Es solte mir kein Dorn verschrencken meine Bahn; Ich dacht’ auf dünnem Eiß ein Buhler-Lied zu machen, Izt lern ich, daß ein schnitt mein Meister werden kan…«
    Weil ganz auf Form bedacht, hatte Hoffmannswaldau vor Beginn seiner Lesung um Erlaubnis gebeten, des Reimes wegen die Schülerin des Abelard »Helisse« nennen zu dürfen; und Helisse versucht, den Verlust des Werkzeugs in ihrem Brief an Abelard mit höherer Liebe aufzuwiegen: »…Hat mich dein Zuckermund zu fleischlich angerühret Und in ein Rosenthal ein schlüpfrich Haus gebaut, So hat doch keine Brunst mir die Vernunft entführet, Es hat ein jeder Kuß auf deinen Geist geschaut…«
    So wenig die Kunst des Vorgelesenen den versammelten Poeten Ansatz für Kritik bot – Buchner sagte: Das gehe weit über Opitz, ja, über Fleming hinaus! –, so bittersüß stieß die Moral der Geschichte einigen Herren auf. Zuerst kam Rist mit seinem ewigen: Wohin das führe? Welchen Nutzen leite das ab? Dann entrüstete sich Gerhardt, der aus dem »eitlen Wörterfest« nur verbrämte Sünde herausgehört hatte. Als nach Laurembergs Genörgel über das »künstlik gerime« auch noch der junge Birken gegen die schrecklichen Geschehnisse ansprach, rief ihm Greflinger dazwischen: Er habe wohl vergessen, mit welchem Besteck
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