Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
stand im Hintergrund deutlich für sich und sprach schneidend über die Köpfe der sitzenden Versammlung hinweg: Man habe mit Kleinmut großgetan und dabei jeder Partei zum Maule geredet. Hier wünsche man den Schwed weit weg, dort bitte man ihn flehentlich, hilfreich zu bleiben. Im einen Satz solle die Pfalz wiederhergestellt, im nächsten Bayern, um es günstig zu stimmen, mit der Kurwürde bedacht werden. Mit rechter Hand beschwöre man die alte ständische Ordnung, mit linker Hand schwöre man dem überlieferten Unrecht ab. Nur eine gespaltene Zunge könne in einem Satz jeder Konfession Freiheit zusprechen und gleichwohl allen Sekten strenge Austreibung androhen. Zwar werde Deutschland so häufig wie von den Pfäffischen die Jungfrau Maria berufen, doch immer sei nur ein Stücklein des Ganzen gemeint. Als deutsche Tugenden nenne man Treue Fleiß Biedersinn, doch wer in Wahrheit deutsch, das heiße, viehisch gehalten werde, der Bauer landauf landab, komme nirgends zu Wort. Zänkisch sei vom Frieden, unduldsam von der Toleranz, pfennigfuchsend von Gott die Rede. Und wo, nach sattsamer Deutschrederei, das Vaterland gelobpreiset werde, schmecke übel mit kleinem Interesse der Eigennutz Nürnbergs, die Vorsicht Sachsens, die schlesische Angst, der Dünkel Straßburgs vor. Jämmerlich lese sich das und dumm, weil nicht gedacht.
    Keinen Tumult, eher Beklemmung hatte Logaus Rede zur Folge. Die beiden nur stilistisch unterschiedlichen Manifestentwürfe gingen, kaum angelesen, von Hand zu Hand. Wieder einmal war den Poeten nichts gewisser als ihre Ohnmacht und ihre mangelnde Kenntnis der politischen Kräfte. Denn als nun (wider Erwarten) der alte Weckherlin zur Rede bereit stand, sprach jemand zu ihnen, der sich als einziger ihrer Versammlung politisch in Kenntnis gesetzt, am Kräftespiel beteiligt, Macht gekostet, die Gewichte ein wenig verschoben und dabei verbraucht hatte. Nicht etwa belehrend, eher heiter und seiner dreißigjährigen Erfahrungen spottend, sprach der Alte vor sich hin. Dabei ging er, als wollte er sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Beine vertreten, auf und ab. Hier plauderte er Dach zugewendet, dort, als sei einzig die Distel sein Publikum. Er sprach zum Fenster hinaus, auf daß ihm die beiden angepflockten Maulesel zuhörten, und machte, mal abschweifend, mal bündig werdend, den großen Sack auf. Der war eigentlich leer. Oder er war voller Müll. Sein fleißiges Umsonst. Seine gesammelten Niederlagen. Wie er, ähnlich dem seligen Opitz, zum Diplomaten allmöglicher Parteien geworden. Wie er als Schwabe zum englischen, im englischen Dienst zum pfälzischen Agenten und, weil ohne den Schwed nichts laufe, zum Doppelagenten aufgestiegen. Und wie er mit seiner Zwischenträgerei doch nicht habe erreichen können, was allzeit Ziel seiner wendigen Kunst gewesen: die militärische Parteinahme Englands für die protestantische Sache. Mit annähernd zahnlosem Lachen verfluchte Weckherlin den englischen Bürgerkrieg und den immer lustigen pfälzischen Hofstaat, die kalte Härte Oxenstiernas und den sächsischen Verrat, die Deutschen allesamt, doch immer wieder besonders die Schwaben: ihren Geiz, ihre Enge, ihre Saubersucht, ihr gottvernutzendes Falschreden. Erschreckend, wie dem Alten der Haß auf alles Schwäbische jung geblieben war, wie bitter ihm im Schwabentum das Deutsche und in der zunehmenden Deutschtümelei der schwäbische Eifer aufstieß.
    Sich selbst sprach er in seiner Anklage nicht frei, sondern nannte alle Ireniker vernünftelnde Narren, die immer, um das Schlimmste zu verhüten, dem landläufigen Unheil Dauer gesichert hätten. Wie er, wenn auch vergeblich, bemüht geblieben sei, englische Regimenter dem deutschen Glaubenskrieg zuzuführen, habe der allseits verehrte Opitz bis an den Rand seines Pestlagers versucht, das katholische Polen in das deutsche Gemetzel zu verstricken. Als seien, rief Weckherlin, mit Schwed und Franzos, Hispaniern und Wallonen nicht schon genug fremde Metzger an der deutschen Schlachtbank fleißig geworden. Nur verschlimmbessert habe man alles!
    Am Ende mußte der Alte sich setzen. Das Lachen war ihm ausgegangen. Entleert konnte er nicht mehr teilnehmen, als nun die anderen, Rist und Moscherosch voran, ihren Haß auf alles Fremde und Welsche in deutschen Selbsthaß verkehrten. Jeder goß seinen Kübel aus. Naturgewaltig erbrachen sie ihren Zorn. Sich selbst nährende Erregung riß die Versammlung von den Stühlen, Schemeln und Fässern. Sie schlugen sich die Brust. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher