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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel
Autoren: A.R. Lloyd
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rutschten, wie sich der Draht in seinen Bauch drückte, und er zog sich wieder hoch. Die tosende Bewegung unter ihm wirkte schwindelerregend. Gru schaukelte auf dem Drahtgeflecht. »Bleib zurück!« zischte sie. »Wenn du angreifst, ist es um uns geschehen. Du wirst zusammen mit mir hinunterfallen.«
    »Kann sein«, flüsterte das Wiesel. Kine dachte an Einauge. Erst Kia und nun Einauge. Und als nächstes? Wunder? »Kann sein«, fauchte er sie an.
    Ford zuckte zusammen. Vom Ufer aus sahen das Sumpfwiesel und die anderen, wie Kine nach vorne sprang und sich die beiden Tiere im wirbelnden Regen ineinander verknäulten. Fast gemächlich, so schien es, rollten sie das zitternde Drahtnetz, entlang nach unten, gerieten am äußersten Rand ins Stocken, glitten hinunter. Zweimal drehte sich Gru in der Luft, dann war sie verschwunden – und Wunder schrie: »Kine! Er ist noch da! Halt dich fest, Kine!« Er hing, mit seinen Vorderpfoten den Rand umklammernd, unter dem Netz. Sich hochkämpfend gelangte das kleine Tier wieder auf das Drahtgeflecht und lag dann, durchnäßt und benommen, über der donnernden Förderschnecke. Wunder atmete tief durch. »Er ist in Sicherheit«, hauchte sie.
    Graue Wolken jagten am Himmel entlang. Stoßweise strömten die tosenden Fluten vom Kanal zum Fluß. Die Auslaßöffnung erbrach sich mit lautem Gebrüll. Vom Schilf aus beobachteten die Wiesel, wie der grausige Schaum wirbelnde Strudel bildete. Es war noch gar nicht so lange her, als sie sich selbst inmitten dieses ungestümen Aufruhrs abgequält hatten. Alles, was nun dort entlangtrieb, war ein schwarzes unförmiges Stück Fell, zerquetscht und zerrissen. Es drehte sich träge im Wasser. Sich von den Strudeln entfernend, wurde es von der Strömung ergriffen und langsam flußabwärts getragen, auf die Mündung zu.
23. Kapitel
    Das Mädchen faltete die aufgeschlagene Zeitung diagonal zu einem vielschichtigen Streifen, knickte ihn in der Mitte, so daß er einer Krawatte glich, und verflocht die Enden miteinander. Vor Wilderers Wohnzimmerkamin kniend, bewunderte sie ihre Arbeit. Auf diese Weise hatten die Bauern einst die Schwänze der Ackerpferde zusammengebunden, um den Dreck von ihnen abzuhalten. Sie legte das grobe Geflecht auf die Asche, bedeckte es mit Anmachholz und zündete es an. Morgens war es jetzt schon recht kalt. Solange das Häuschen unbewohnt war, sah sie nach dem Rechten.
    Ebenso wie ein Mensch brauchte es Wärme. Sie betrachtete das Holz, das Feuer fing. Ihre Mutter hatte ihr gezeigt, wie man diese papiernen Feueranzünder faltet; sie waren unfehlbar. Die größer werdenden Flammen verbreiteten Licht, und sie saß auf dem Fußboden vor dem steinernen Kamin. Der Raum war in Schweigen gehüllt. Sie spürte eine innerliche Ruhe, fühlte sich eins mit der Stille, mit dem Unsichtbaren. Das Feuer murmelte leise vor sich hin. Plötzlich drehte sie sich um. Ein Luftzug unter der Tür machte sich bemerkbar, und intuitiv wußte das Mädchen, daß sie nicht länger allein war.
    »Wilderer?« – Es rutschte ihr in alter Gewohnheit heraus. Kein Laut war zu hören, aber wie eine Katze nahm sie etwas wahr, und ihre Augen funkelten.
    Zuerst dachte sie, daß es eine Spinne war, der Fleck vor der Fußleiste. Zu klein für eine Maus, war er etwas größer als eine Hummel und flitzte auf winzigen Beinen eilig durch den Raum. Ihre Augen folgten ihm belustigt. Sein Schwanz stand senkrecht in der Luft. Die Beine rasten stetig wie ein Uhrwerk. Einem samtenen Kobold gleich, lief die Spitzmaus hastig schnuppernd auf dem Bretterfußboden entlang, wobei sie den Blick des Mädchens, das vor dem Kamin hockte, nicht beachtete.
    Das Mädchen stützte sich auf allen vieren und stürzte sich auf die Maus. Ihre zupackenden Hände verfehlten sie, und weiter vorwärts kriechend, griff sie noch einmal zu. Kichernd ließ sie den Winzling durch ihre Finger schlüpfen. Geschäftig setzte er seinen Weg fort. Vor Lachen hatte sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Sie drehte sich auf ihren Hüften herum, griff erneut zu, und die Spitzmaus lief ihren Arm hinauf. Das Mädchen kreischte auf. Der Winzling sprang von ihrem Ellbogen auf den Boden. Er kehrte zur Fußleiste zurück und flitzte weiter durch den Raum.
    Als ihre Handflächen den Winzling schließlich umschlossen hielten, erhob sie sich keuchend und ging mit ihm hinaus. Sie hatte Tränen in den Augen. Ihr Atem dampfte in der kalten Luft. Der Boden war leicht gefroren. Einen Moment lang hielt sie das kleine
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