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Das Stonehenge - Ritual

Das Stonehenge - Ritual

Titel: Das Stonehenge - Ritual
Autoren: Sam Christer
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geöffneten Umschlag über den Tisch. »Das ist der Brief, den Ihr Vater hinterlassen hat.«
    Gideon wirft einen Blick darauf, rührt sich aber nicht von der Stelle. Der Umschlag ist mit dunklen Spritzern übersät.
    Sie begreift, was seine Aufmerksamkeit erregt hat. »Es tut mir leid. Ihn in einen anderen Umschlag zu stecken erschien mir nicht angemessen.«
    Angemessen.
    Ein Großteil seiner Erziehung drehte sich um angemessenes Verhalten. Ingesamt eine recht unangemessene Vorbereitung für den Moment, an dem einem jemand einen Umschlag überreicht, der mit dem Blut des eigenen Vaters bespritzt ist.
    »Alles in Ordnung?«
    Er schiebt sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickt zu ihr hoch. »Ja, es geht mir gut.«
    Sie wissen beide, dass das nicht stimmt.
    Erneut wirft er einen Blick auf den Umschlag, von dem ihm sein eigener Name entgegenstarrt, geschrieben in der gestochenen Handschrift seines Vaters.
    GIDEON
    Zum ersten Mal in seinem Leben ist er froh, dass sein Vater sich seinen exzentrischen Stil bewahrt und einen Füllfederhalter benutzt hat, statt wie der Rest der Welt mit Kugelschreiber oder Filzstift zu schreiben.
    Gideon ertappt sich dabei, dass er gerade einen liebevollen Gedanken für den alten Herrn hegt, und fragt sich, ob das nur ein vorübergehender Moment ist oder ob ein Effekt des Todes darin besteht, dass man plötzlich Respekt für die Dinge empfindet, die man früher verachtet hat. Macht der Tod irgendwie reinen Tisch und bringt einen dazu, nur noch gut von den Menschen zu denken, von denen man bisher eine schlechte Meinung hatte?
    Vorsichtig berührt er die Ecken des Umschlags. Dann hebt er ihn ein wenig an, dreht ihn aber noch nicht um.
    Noch nicht.
    Sein Herz klopft genauso heftig wie früher, wenn sein Vater und er sich stritten. Er kann den alten Herrn in dem Brief spüren, seine Gegenwart durch das Papier wahrnehmen. Entschlossen dreht er den Umschlag um und zieht die Lasche heraus. Während er den Brief auseinanderfaltet, muss er sich darüber ärgern, dass die Polizei ihn vor ihm gelesen hat. Ihm ist klar, warum: Sie waren gezwungen, ihn zu lesen. Trotzdem hätten sie es nicht tun sollen. Schließlich war er an ihn adressiert, und der Inhalt ist sehr privat.
    Liebster Gideon,
    ich hoffe, im Tod wird die Distanz zwischen uns nicht mehr so groß sein wie im Leben.
    Nun, da ich nicht mehr bin, wirst du viele Dinge über mich erfahren. Nicht alle sind gut, nicht alle schlecht. Unter anderem wirst du vielleicht entdecken, wie sehr ich dich geliebt habe. Jeden Moment meines Lebens habe ich dich geliebt und war stolz auf dich.
    Mein geliebter Sohn, bitte verzeih mir, dass ich dich derart von mir weggeschoben habe. Dich jeden Tag zu sehen, war für mich, als sähe ich ständig deine Mutter. Du hast ihre Augen. Ihr Lächeln. Ihre sanfte, liebevolle Art. Mein lieber Junge, es war zu schmerzhaft für mich, sie in jedem deiner Atemzüge zu erkennen. Ich weiß, das war egoistisch von mir. Mir ist klar, dass es falsch war, dich an jene Schule zu verbannen und all deine Bitten, zurückkommen zu dürfen, zu ignorieren, aber bitte glaube mir, dass es nur aus Angst geschah: Hätte ich anders gehandelt, wäre ich wahrscheinlich daran zerbrochen.
    Mein liebes, wundervolles Kind, ich bin so stolz auf das, was aus dir geworden ist und was du erreicht hast.
    Stelle keine Vergleiche zwischen uns an. Du bist ein weitaus besserer Mann, als ich es je sein konnte, und ich hoffe, eines Tages wirst du auch ein weitaus besserer Vater sein.
    Vermutlich fragst du dich, warum ich mir das Leben genommen habe. Die Antwort ist nicht einfach. Im Leben muss man Entscheidungen treffen. Wenn man dann gestorben ist, wird man für immer nach diesen Entscheidungen beurteilt. Doch nicht alle Richter sind gute Richter. Ich hoffe, du wirst ein gutes und gnädiges Urteil über mich fällen.
    Du musst mir glauben, dass mein Freitod edle Motive hatte und keineswegs so sinnlos und feige war, wie es scheinen mag. Du hast ein Recht darauf, zu verstehen, wovon ich spreche, und ebenso das Recht, dich keinen Deut darum
    zu scheren und dein Leben zu leben, ohne einen weiteren Gedanken an mich zu verschwenden.
    Ich hoffe, du entscheidest dich für Letzteres.
    Mein Anwalt wird sich mit dir in Verbindung setzen. Wie du feststellen wirst, ist alles, was ich angehäuft habe, nun dein. Du kannst darüber verfügen, wie du willst, doch ich rate dir, nicht
zu
großzügig damit umzugehen.
    Gideon, als du noch ein Kind warst, haben wir immer
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