Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Leinen, das er wie die meisten Leute an den Wochentagen trug, sah man den Dreck nicht so schnell. »Ob du nun einen angeblichen Knappen dabeihast oder nicht«, fuhr Markwart fort, »dir steht der Hungerleider auf der Stirn geschrieben.«
    »Unsinn«, entgegnete Walther kurz angebunden. Markwart war schnell wehleidig; seine ständigen Beschwerden glichen Mühlrädern, klapp, klapp, klapp, immer dasselbe. Andererseits gab es fast nichts, zu dem Walther ihn nicht überreden konnte. Wenn es hart auf hart ging, hatte Markwart ihn noch nie im Stich gelassen. Lass uns unser Glück am Hof zu Wien versuchen war bei Markwart zunächst auf Einwände gestoßen, die alle mit »aber« begannen, doch etwas Geld für die Reise hatte er trotzdem zusammengebracht. Das Pferd, das sie sich teilten, kam zwar von Walthers Vater, doch das Sattelzeug von Markwart. Er hatte sogar geschluckt, dass er den Knappen spielen musste, obwohl es nicht einfach war, ihm das zu vermitteln: »Spielmänner haben keine Knappen. Wenigstens keine, die ich je gesehen habe.«
    »Eben. Ich will kein Spielmann werden, sondern ein Minnesänger. Das sind Herren, die an den Höfen der Mächtigen weilen, verstehst du? Und die brauchen Knappen, damit man sie als Herren erkennt.«
    » Herr Walther«, murrte Markwart jetzt, während sie den Schankraum betraten, um sich für ihre ehrlichen Pfennige wenigstens ordentlich zu sättigen. »Herr Walther vom Eselsmist, mehr glaubt man dir nicht. Und dafür haben wir Bayern verlassen! Warum kann eigentlich nicht ich Herr Markwart sein und du mein Spielmann? Schließlich habe ich, im Gegensatz zu dir, schon bei Frauen gelegen«, spielte er seinen liebsten Trumpf aus, »während du noch keine Ahnung von diesen Spielchen hast.«
    Ich warte eben noch auf eine Meisterin, dachte Walther, kein Küken, das genauso neugierig ist wie ich und mir nicht zeigen kann, was ich zu tun habe, um uns beide glücklich zu machen. Ich will mich nicht blamieren wie du und hören, ich solle keine Butter mit ihren Brüsten schlagen, oder nicht in ihren Bauch beißen, wie in einen harten Apfel. Für mich muss es etwas Besonderes sein. Ich will Lippen spüren, die so zart sind, dass man sie außer mit den eignen nur mit der Zunge berühren kann, und ich will wissen, warum die eine Frau Angst vor den Männern hat, die nächste aber glänzende Augen bekommt, wenn sie an die vergangene Nacht denkt. Aber hier und jetzt war nicht die Zeit für Schwärmereien. »Weil du nicht weißt, was du tun willst, wenn sie uns erst bei Hofe aufnehmen, außer die großen Herren und ihre Damen anzustaunen. Doch was ich will, das weiß ich ganz genau«, gab Walther zurück und versuchte, den Blick der Wirtin auf sich zu ziehen. Sie war eine Witwe, die den Bunten Ochsen mit ihren Söhnen betrieb, von denen der ältere gewiss so alt wie Walther und Markwart war. Das sah man ihr allerdings kaum an: Die Grübchen in ihren runden Wangen zeigten nur, dass sie gerne lachte, und der Busen war, soweit sich das unter ihrem Hemd und dem Oberrock erkennen ließ, noch üppig und fest. An der Art, wie sie die Hände auf die Hüften stemmte, um einen Gast anzufahren, der sich immer noch auf der Bank lang gestreckt hatte, statt Platz für die anderen Gäste zu machen, die nun in den Schankraum drängten, konnte man sehen, dass auch der Rest ihrer Gestalt und ihres Wesens nicht von Traurigkeit bestimmt war.
    Markwart war Walthers Blicken gefolgt und gab ihm einen Rippenstoß. »Die könnte deine Mutter sein.«
    Walther grinste. »Nicht, wenn ich zweiundzwanzig bin.«
    »Zweiund… Walther, gestern waren es noch neunzehn Jahre und die schon übertrieben!«
    »Nun und? Zweiundzwanzig ist besser.«
    »Du bist verrückt«, stellte Markwart fest. »Ich bleibe jedenfalls achtzehn Jahre.«
    »Deswegen bist du ja auch mein Knappe«, sagte Walther gönnerhaft. »Die sind immer jünger als ihre Herren.«
    Markwart versetzte ihm einen heftigeren Rippenstoß, gerade, als die Wirtin endlich in ihre Richtung schaute, was dazu führte, dass er sich krümmte und aufächzte, statt ihren Blick inniglich erwidern zu können. Sie wies mit dem Kinn zu dem Tisch, an dem bereits zwei Mönche saßen, und wandte sich wieder ab.
    »Danke«, sagte Walther mit saurer Miene zu Markwart. Sie begaben sich zu den Mönchen, die ihrer Aussprache nach nicht aus der Gegend stammten. Stattdessen schwadronierten sie in einem Deutsch, das aus jedem zweiten s ein sch machte, darüber, ob es wohl eine größere Sünde sei, mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher