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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall
Autoren: Tanja Kinkel
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einer schönen oder einer hässlicheren Frau zu schlafen. Einer von beiden brachte vor, dass der größere Genuss bei einer schönen Frau auch einen höheren Grad von Sünde bedeute, während der andere ihm entgegenhielt, da eine schöne Frau einem Mann eher die Sinne raube als eine hässliche, sei er für seine Taten nicht mehr voll verantwortlich und daher auch kein so großer Sünder. Walther, der sich wünschte, die Wirtin hätte etwas länger zu ihm herübergeblickt, fragte ein wenig spöttisch: »Sprecht Ihr nicht in einem wie im anderen Fall wie ein Weinkenner, der nie einen Tropfen gekostet hat, Brüder? Denn wenn nicht, dann spielt es keine Rolle, was die größere Sünde ist, denn gesündigt hättet Ihr allemal.«
    Markwart barg sein Gesicht in den Händen.
    »Junger Mann«, entgegnete der eine Mönch grimmig, »ich kann dir sagen, welche Sünde du als erste zu beichten hast, wenn du das nächste Mal eine Kirche von innen siehst – mangelnde Achtung und respektlose Reden wider die Diener des Herrn!«
    »Ich bin nicht derjenige an diesem Tisch, der Demut gelobt hat«, sagte Walther. Der Mönch versetzte ihm eine Kopfnuss. Das hatten die Lehrer in der Klosterschule, die ihm Lesen, Schreiben, Rechnen und ein wenig Latein beigebracht hatten, ständig getan, und es wäre den Spaß mit den zwei Mönchen wert gewesen, doch aus den Augenwinkeln erkannte Walther, dass die Wirtin wieder zu ihrem Tisch herüberblickte. Sofort setzte er sich etwas gerader und sagte so würdig wie möglich: »Sünder oder nicht? Das ist nach Eurem Gerede doch keine Frage mehr. Ihr hättet in der Beichte die Sünden vergeben, nicht aber den Sünderinnen als Buße aufgeben sollen, das Gebeichtete mit Euch gleich wieder neu zu begehen. Ich jedenfalls bin ein Mann von Stand, Mönch, und Ihr werdet mich als solchen behandeln.«
    Wenn Markwart noch tiefer in sich zusammen hätte sinken können, dann wäre er von der Bank gerutscht. Walther trat ihm auf den Fuß. Schließlich war es die Aufgabe von Knappen, die Ehre ihrer Herren zu verteidigen.
    Die beiden Mönche starrten ihn einen Herzschlag sprachlos an, dann bliesen sie in seltener Einmütigkeit die Backen auf und lachten. Das erzürnte Walther mehr, als er es für möglich gehalten hatte. Immerhin hatte er es in seiner neuen Rolle bis hierher geschafft, weniger als eine halbe Tagesreise vor Wien. Er war nicht mehr der Junge, der keine bessere Zukunft vor sich hatte als die, in seines Vaters Fußstapfen zu treten. Außerdem war es keine wirkliche Lüge: Sein Vater war kein einfacher Bauer, er war ein Zöllner. Das machte ihn zu einem der Ministerialen, welche mit etwas Glück – oder genügend Phantasie, neue einträgliche Zölle oder Steuern für ihren Herzog zu erfinden – häufig mit dem Ritterstand belohnt und zu einem Mann von Stand wurden. Wenn der augenblickliche Stand nicht ganz so hoch war, wie seine Worte es klingen ließen, was tat das?
    Wenn du noch nicht einmal zwei Mönche und eine Wirtin überzeugen kannst, sagte eine Stimme in Walther, die verdächtig wie die Markwarts klang, dann wird dir auch der Herr Reinmar keinen Herzschlag lang Gehör schenken und dich nicht zu seinem Schüler machen, wie du dir das erhoffst. Er wird dich umgehend hinauswerfen.
    »Ihr wollt Männer Gottes sein«, sagte Walther und zwang sich, so laut wie möglich zu sprechen, wie bedeutende Männer nach seiner Meinung eben sprachen, die nie Rücksicht auf andere Menschen im Raum nehmen mussten, »und geht doch nur nach dem Augenschein. Mein Knappe und ich mögen keinen eitlen Firlefanz tragen und bescheiden reisen …« In diesem Moment betrat der hochnäsige Herr, der alle Räume in Beschlag gelegt hatte, samt seines Anhangs den Schankraum. Walther holte tief Luft. »… ganz anders als dieser Kerl da!« Er deutete auf den Mann, der mit seinem feingewebten blauen Mantel eher zu reich als zu arm für einen Kaufmann wirkte. »Aber wer sagt euch allen denn, dass ihm auch nur die Kleider gehören, die er am Leibe trägt? Kennt ihr ihn besser als mich? Ihr habt keinen von uns beiden vorher je gesehen. Ich habe schon gestern bezahlt, wie es üblich ist, gleich nach meiner Ankunft, für mich und meinen Knappen. Hat er das auch getan? Ich möchte wetten, das hat er nicht. Und doch seid ihr alle ganz sicher, er wird es noch tun, nur, weil er und seine Leute in Gewändern stecken, die kein vernünftiger Kaufmann, der zu rechnen versteht, auf Reisen bei diesem Wetter tragen würde. Ein Kaufmann will er sein?
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