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Das Hungerjahr - Roman

Das Hungerjahr - Roman

Titel: Das Hungerjahr - Roman
Autoren: Aki Ollikainen
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PROLOG
    D ie Ruderdollen schreien wie ein Vogel.
    Im Boot liegen drei magere Hechte. Sie sehen mehr nach Schlangen als nach Fischen aus. Sie zucken nicht mehr, sie sind in der Kälte erstarrt. Ihre Mäuler stehen offen, noch immer entrinnt ihnen Blut, das sich in dünnen Schnörkeln mit dem Wasser zu Mataleenas Füßen mischt.
    Mataleena steckt die Hand in den kalten See, lässt sie träge neben dem Boot hergleiten, bis sie die Kühle in den Gelenken spürt. Der Wind zupft an der Wasseroberfläche, der Himmel spiegelt sich fleckenweise, in Stücken, als wäre er zerschlagen worden.
    Juhani reckt den Hals wie ein Kranich nach oben. Mataleena folgt mit dem Blick zuerst dem ädrigen Hals ihres Vaters, dann der dünnen Nasenwurzel und richtet schließlich auch die Augen zum Himmel, der sich wie ein riesiger Silberlöffel über dem See wölbt.
    »Sie fliegen schon nach Süden«, seufzt Juhani.
    »Wer?«
    »Die Schwäne.«
    »Ich sehe keine Vögel.«
    »Weil sie eben schon fort sind.«
    Juhanis Blick senkt sich auf Mataleena.
    »Immerhin haben wir ein paar Fische gefangen.«
    Juhani zieht das Boot zwischen den Büschen an Land. Marja ist ihnen entgegengekommen, sie setzt Juho ab, und Mataleena ergreift die Hand ihres kleinen Bruders. Marja guckt verstohlen ins Boot.
    »Die sind aber mager.«
    Schwarz spiegeln sich am Ufer gegenüber die Bäume im Wasser, ein Prachttaucher ruft. Bald wird auch er in südliche Richtung fliegen.
    Auf einem schmalen Pfad gehen sie durch den Wald. Als Marja sich bückt, um nach Preiselbeeren zu schauen, hört man ein kurzes, wütendes Zischen, als fiele ein Stück glühende Kohle ins Wasser. Marja kreischt auf, macht einen Satz nach hinten und fällt, weil die Füße nach dem Sprung nicht sicher auf der Erde landen, in die Sträucher. Zuerst sieht sie die blassen Preiselbeeren, denen die kalten Nächte zugesetzt haben, als undeutliche Punkte vor sich, dann schaut sie in die Richtung, aus der das Zischen kommt: Ein schwarzes Knäuel nimmt langsam die Gestalt einer Schlange an. In ihren Augen liegt die Farbe erfrorener Beeren, die zwei Zähne sind wie Eiszapfen. Aber die Kreuzotter greift nicht an, sie zischt nur.
    Juhani macht einen Schritt nach vorne und hält dabei einen Stein über den Kopf. Dann kommt der Angriff – von Juhani, nicht von der Schlange, die Schlange gerät unter den Stein.
    Die Luft, die sich vor Entsetzen im Leib gestaut hat, entweicht mit einem Atemzug. Juhani streckt die Hand aus und hilft Marja auf die Beine.
    »Das arme Biest. War schon ganz klamm und konnte nicht mehr fliehen.«
    Marja blickt auf den Stein, es kommt ihr vor, als sähe die Schlange durch ihn hindurch.
    »Lebt sie noch?«
    »Nein.« Juhana bückt sich, um den Stein aufzuheben.
    »Um Gottes willen, nicht! Lass ihn liegen! Ich will sie nicht sehen.«
    »Dann eben nicht.«
    Man hört ein ganz leises Zischeln, als der brennende Span das Wasser im Kübel erreicht. Noch schafft es das gedämpfte Licht, Juhanis Schatten an die Wandbalken zu zeichnen, als er sich auf seinem Bett aufrichtet, Marjas Rock hochschiebt, ihr die Hand aufs Knie legt und die Beine öffnet. Marja greift nach Juhanis hartem Glied. Auch sie möchte gerne, aber ihre Angst ist noch brennender als ihre Lust. Was, wenn sie schwanger wird? Noch mehr Münder zu füttern in diesem Elend. Sie drückt Juhani auf die Matratze zurück. Er seufzt und verbirgt seine Enttäuschung.
    Langsam bewegt Marja die Hand, mit der sie Juhanis Glied umfasst, hin und her. Juhani entweicht ein gedämpfter Laut. Marja legt die andere Hand zwischen ihre Beine. Juhani kommt zuerst. Marja beißt in den Kragen ihres Nachthemds, als die Wellen durch ihren Körper laufen. Danach fühlt sie sich wieder leer. Sie streichelt Juhanis schlaffes Glied und denkt an die mageren Hechte.

OKTOBER 1867
    D er Bauer muss geopfert werden. Ansonsten drängt die weiße Königin den König in die Ecke, und der Läufer kommt nicht rechtzeitig zu Hilfe. Er steht mehrere Züge entfernt.
    Lars Renqvist muss feststellen, dass die Lage auf dem Brett hoffnungslos aussieht. Teo trommelt nervös mit den Fingern auf den Tisch. »Willst du nicht endlich aufgeben?«, sagt er zu seinem Bruder. »Oder wir hören auf und machen ein andermal weiter.«
    »Von mir aus. Spielen wir die Partie zu Ende, wenn wir uns das nächste Mal sehen«, erwidert Lars.
    Amüsiert mustert Teo das Gesicht seines Bruders, der noch immer die Spielfiguren auf dem Brett studiert. Er merkt, dass Lars gelernt hat, die Stirn zu
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