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Das Hungerjahr - Roman

Das Hungerjahr - Roman

Titel: Das Hungerjahr - Roman
Autoren: Aki Ollikainen
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runzeln wie sein von ihm vergötterter Vorgesetzter im Senat.
    »Wenn du mich fragst, irrt sich dein Senator«, sagt Teo.
    »Du verstehst den Charakter dieses Volkes nicht«, seufzt Lars und steht auf, um die Gläser mit Punsch zu füllen. Er reicht Teo ein Glas und spricht weiter: »Man muss den Leuten Arbeit verschaffen. Fängt man erst einmal an, ihnen ohne Gegenleistung Korn in den Kasten zu schütten, wird es kein Ende mehr nehmen. Unsere oberste Pflicht besteht darin, denjenigen, die keine Beschäftigung haben, welche zu geben.«
    »Arbeit nutzt nicht viel und trägt auch keine Früchte, wenn es nichts zu essen gibt, das man dank seiner Arbeit kaufen kann.«
    Lars ereifert sich. Der Senator hat beim Bankhaus Rothschild einen Kredit ohne Garantien durchgesetzt. Das ist nur gelungen, weil der Staat einen so guten Ruf besitzt. Dieses Vertrauen darf man nicht beschädigen, indem man beim ersten Rückschlag die Fassung verliert.
    »Ich kann nicht begreifen, dass du das nicht verstehst«, erregt sich Lars.
    In dem Moment geht die Flügeltür des Salons auf, und Raakel kommt mit dem Teetablett herein. Sie stellt es auf dem kleinen Tisch ab. Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein. Lars holt tief Luft und beruhigt sich unter dem zärtlichen Blick seiner Frau.
    Teo denkt, dass Raakel klüger ist als sein Bruder. Sie hätte das Bettlerproblem sicherlich schon aus der Welt geschafft, wäre jemand auf die Idee gekommen, sie darum zu bitten. Sie hätte alle aufgefordert, in ihre Häuser zurückzukehren: Sobald sich ein Topf findet, der groß genug ist, gibt es zu essen. Bis dahin muss man sich eben gedulden.
    »Die Beschaffung des Nothilfegetreides sollte über Geschäftsleute abgewickelt werden. Das war die Idee des Senators, und er hatte damit vollkommen recht. Es ist nicht seine Schuld, dass die Kaufleute nicht aktiv genug gewesen sind«, sagt Lars wie ein geduldiger Vater, der seinem Kind zum siebten Mal denselben Sachverhalt erklärt.
    »Es ist überhaupt kein Getreide beschafft worden. Und du kannst ebenso gut einen Pfarrer auffordern, sein letztes Hemd dem Nächsten zu geben, wie einen Kaufmann zu bitten, die Armen zu ernähren«, sagt Teo.
    Die Erwähnung der Pfarrer lässt Lars kurz verstummen, und Teo vermutet, dass sein Bruder noch immer Schuldgefühle hegt, weil keiner von beiden den Wunsch des Vaters erfüllt und sich der Theologie verschrieben hat.
    »Ich kenne allerdings einen, der bereit ist, für die Huren von Helsinki sein letztes Hemd herzugeben«, sagt Raakel.
    »Ich bin ein Arzt der Armen, so wie Paracelsus«, entgegnet Teo und breitet die Arme aus.
    »Die Huren von Helsinki leiden keine Not, weil unser Herr Paracelsus sie alle heilt.«
    Lars bricht in Lachen aus. Triumphierend schlägt Raakel die Tür hinter sich zu. Auch Teo amüsiert sich, als er sich das Siegeslächeln vorstellt, das sich nun auf Raakels Lippen bilden wird, nachdem sie das letzte Wort behalten hat. Was wäre sie für eine gute Mutter, wenn sie nicht unfruchtbar wäre. Allerdings kann es auch an Lars liegen, denkt Teo; vielleicht ist ihre Sippe dazu verdammt, mit ihnen beiden zu erlöschen.
    Vielleicht ist das gerade der Hintergrund von allem: Der Hunger sondert die Schwächsten aus dem Volk aus, so wie der Gärtner die schlechten Äste des Apfelbaums abschneidet.
    Nachdem Teo gegangen ist, vertieft sich Lars wieder auf das Schachbrett. Mit dem Bauern könnte er sich ein paar Züge Zeit erkaufen, aber selbst um ein Remis zu erreichen, müsste Teo schon einen Kardinalfehler begehen. Das Spiel ist verloren, und Lars ahnt, dass Teo es absichtlich offen gelassen hat. Vielleicht will er Lars Zeit geben, die Lage zu studieren, ihre Hoffnungslosigkeit zu begreifen.
    Lars kommt die schmerzlich unbarmherzige Miene des Senators in den Sinn, als dieser ihn anfuhr:
    »Hat der Herr stellvertretende Kämmerer noch etwas zu sagen? Ich habe meine Antwort diktiert, nun gehen Sie und expedieren Sie die Botschaft!«
    Das ist bereits einen Monat her. Lars hatte vor der Tür des Senators gestanden und die Depesche, die von Gouverneur Alftan gekommen war, in der Hand gehalten, bemüht, sie nicht zu zerknittern, denn der Senator behielt sich das Recht vor, Telegramme zu zerknüllen und sie vor Wut quer durch den Raum zu schleudern. Im Norden war das Getreide ausgegangen, und Alftan wollte rasche Nothilfe haben. Lars war lediglich der unbedeutende Überbringer der Nachricht gewesen, aber der Senator hatte seinen ganzen Zorn auf ihn gerichtet. Vielleicht
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